Montag, 11. Oktober 2010

Ig-Nobelpreise 2010

Ich bin ein bisschen spät dran mit diesem Beitrag, aber da 20 Minuten sowie der Bund das Beste verschwiegen haben und der Tages-Anzeiger den Anlass ganz übergangen hat...

Gleichzeitig mit den Nobelpreisen werden auch die Ig-Nobelpreise vergeben für "Errungenschaften, die die Leute erst zum Lachen und dann zum Nachdenken bringen". Das Motto gefällt mir irgendwie besser als das der Nobelpreise...

Hier mein persönlicher Lach-Höhepunkt:
Der Ig-Nobelpreis für Chemie 2010 geht u.a. an BP, für "das Widerlegen des alten Glaubens, dass sich Öl und Wasser nicht mischen".

Alle Preisträger: http://improbable.com/ig/winners/

Freitag, 3. September 2010

Öl im Golf von Mexiko - ein weiteres Update

Was bei der zweiten Runde der Toxizitätstests herausgekommen ist und warum ich mit dem Bericht der EPA nicht ganz glücklich bin.

Frühere Beiträge zu diesem Thema: 7.5.16.5. und 2.7.

Dienstag, 3. August 2010

Phytoplankton leidet unter Klimaerwärmung

Klein, aber oho! Das gilt sicher für die winzigen Lebewesen des Phytoplanktons, d.h. des Photosynthese betreibenden Teils des Planktons. Sie sind für rund die Hälfte der Primärproduktion (die Produktion von Biomasse aus CO2 mit Hilfe von Sonnenlicht) auf der Erde verantwortlich. Aber die Klimaerwärmung scheint ihnen nicht zu bekommen. Eine in Nature veröffentlichte Studie zeigt auf, wie sich die Menge an Phytoplankton während der letzten hundert Jahre verändert hat.

 Bild aus Wikipedia.

Samstag, 31. Juli 2010

Proton neu vermessen - ein statistischer Nachtrag

Mein Herzallerliebster hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass mein Vergleich mit Schülernoten nicht gerade intuitiv ist für Leute, die nicht in der ETH-Didaktikausbildung mit Effektstärken gequält wurden. Ich versuche mich an einer Erklärung...

Donnerstag, 29. Juli 2010

Proton neu vermessen

Spitzt schon mal die Bleistifte, möglicherweise wird es nötig werden, in der Formelsammlung etwas zu korrigieren. Messungen am Paul-Scherrer-Institut (PSI) weisen nämlich darauf hin, dass das Proton 4% kleiner ist als bisher angenommen.

  
Teil der Laseranlage, die für das Experiment zur Bestimmung des Protonenradius benötigt wird. Hier werden unsichtbare infrarote Laserpulse in grünes Laserlicht umgewandelt. (PSI/A. Antognini und F. Reiser)

Donnerstag, 22. Juli 2010

HeLa - die unsterblichen Zellen: eine Buchbesprechung

An ihnen wurde der Polio-Impfstoff getestet. Sie wurden ins All geschickt, um die Auswirkungen von Schwerelosigkeit und Strahlung zu studieren. Und an ihnen wurde erforscht, weshalb Krebszellen nicht sterben wie andere Zellen. Ihr Name ist HeLa.

Freitag, 2. Juli 2010

Öl im Golf von Mexiko - Update zu den Dispergiermitteln

  • Die US-Umweltbehörde EPA hatte auch keine Freude am übermässigen Einsatz von Dispergiermitteln und hat BP an die Kandare genommen.
  • Der Hersteller Nalco hatte ein Einsehen und hat alle Inhaltsstoffe der Corexit-Produkte bekanntgegeben.
  • Die EPA testet andere Dispergiermittel
Zeit für ein Update! Frühere Beiträge zu diesem Thema: 7.5. und 16.5.

Donnerstag, 1. Juli 2010

Graphen - der Halbleiter der Zukunft?

Graphit kennen wir seit langem. Aber erst vor einigen Jahren ist es gelungen, daraus Graphen herzustellen. Worin besteht der Unterschied? Und hat Graphen tatsächlich Potential als Halbleiter?

Dienstag, 8. Juni 2010

Die Rolle des Adenosinrezeptors A1 bei der Schmerzempfindung

Neulich zu lesen:

Wie Akupunktur Schmerz lindert - NZZ 2.6.2010

Von der Alten Tante hätte man einen dermassen schlecht recherchierten Artikel nicht erwartet. Aber ich freue mich natürlich über die Gelegenheit, die NZZ kritisieren zu dürfen.

Kurz gesagt behauptet der Artikel, es sei ein Wirkmechanismus für die Akupunkturbehandlung bei Schmerz entdeckt worden. Das ist in der Tat, was die Autoren der betreffenden Studie uns glauben machen möchten. Diese Studie wird aber in Fachkreisen heftig kritisiert, was der NZZ-Journalistin entgangen zu sein scheint. So behauptet sie:
"Zwar ist die Wirksamkeit, etwa bei der Linderung von Rücken- oder Kniegelenkschmerzen, in klinischen Studien deutlich belegt."
Eine derartige Aussage ohne Quellenangabe finde ich ein kleines bisschen gewagt, denn letztes Jahr kam ein Übersichtsartikel über 13 Studien zu folgendem Schluss:
"Ein geringer schmerzlindernder Effekt von Akupunktur wurde gefunden, der klinischer Relevanz zu entbehren scheint und nicht klar von einem systematischen Fehler unterschieden werden kann. Ob das Einstechen von Nadeln an Akupunkturpunkten oder an irgendeiner Stelle Schmerz unabhängig vom psychologischen Einfluss des Behandlungsrituals mindert, ist nicht klar."
(Madsen et al. 2009, Übersetzung von mir)
Übrigens nutzen Studien zu den Effekten von Akupunktur zur Kontrolle oft einziehbare Tricknadeln, die dem Patienten lediglich das Gefühl geben, gestochen zu werden, ohne aber die Haut zu verletzen. Auf diese Weise kann der Placebo-Effekt abgeschätzt werden.

Doch weiter im NZZ-Text:
"Wie die Forscher zeigten, trat als Folge der Stichverletzung das körpereigene Molekül Adenosin aus den geschädigten Zellen aus und sammelte sich im Gewebe an. Hier konnte es sich über bekannte Rezeptoren an Nervenfasern vor Ort anheften, die daraufhin weniger «Schmerzbotschaften» an das Gehirn sendeten."
Ich bin keine Ärztin, aber ich vergleiche das mal mit folgender Aussage in Wikipedia:
"Die Entstehung des Schmerzes läuft dabei folgendermaßen ab:
  1. Zunächst bewirkt die Verletzung des Gewebes eine Freisetzung von ATP, Protonen, Sauerstoff-Radikalen, Kalium-Ionen und Arachidonsäure."
Der Punkt, dem meine Aufmerksamkeit gilt, ist die Abkürzung ATP. Sie steht für Adenosintriphosphat. Das ist Adenosin mit dreimal Phosphat drangehängt. Nimmt man alles Phosphat weg (und der Säugetiermetabolismus kann das), hat man Adenosin. Deshalb wurde nämlich in der Studie nicht nur Adenosin, sondern auch Adenosinmono-, -di- und -triphosphat gemessen.

Es ist demnach erstens falsch zu sagen, dass Adenosin aus den Zellen austritt, denn tatsächlich ist es Adenosintriphosphat (ATP), was aus der Zelle kommt. Erst anschliessend wird es zu Adenosin abgebaut. Aber ich nehme an, die Journalistin wollte den Lesern bloss einen weiteren komplizierten Namen ersparen.

Zweitens führt offenbar jegliche Gewebeverletzung zu einer ATP-Freisetzung und dürfte somit denselben Effekt habe.

Die NZZ schreibt weiter:
"Fügten die Forscher den Mäusen eine schmerzhafte Entzündung an einer Pfote zu und stachen dann eine Nadel in einen Akupunkturpunkt unterhalb des Knies der gleichen Pfote, waren die Tiere deutlich weniger berührungsempfindlich als ohne Behandlung. Die halbstündige Prozedur war allerdings nur erfolgreich, wenn die Nadel – wie bei einer klassischen Therapie durchaus üblich – alle fünf Minuten rotierend bewegt wurde. Keinen Erfolg brachte sie, wenn die Nadel am unversehrten Bein gesetzt wurde oder bei Mäusen, die wegen eines gentechnischen Eingriffs keine Adenosin-Rezeptoren besitzen."
Hier nähern wir uns dem Kern der Studie. Sie hat tatsächlich nachgewiesen, dass der Adenosinrezeptor A1 verantwortlich ist für ein vermindertes Schmerzempfinden. Das ist eigentlich sehr spannend, denn es eröffnet möglicherweise neue Wege für schmerzstillende Medikamente. Mit Akupunktur hat es aber herzlich wenig zu tun. Anstelle die Mäuse zu stechen, hätte man sie wohl auch schneiden, pieksen oder sonstwie quälen können. Ach ja, der Effekt ist nur beim zusätzlichen Rotieren der Nadeln aufgetreten. Ich spekuliere hier mal wild: Könnte der erneute Schmerz beim Rotieren zu zusätzlicher ATP-Freisetzung geführt haben? Im Stile von "das Messer in der Wunde umdrehen"...

Immerhin ist die NZZ nicht allein mit ihrer katastrophalen Berichterstattung. Zahlreiche renommierte englischsprachige Zeitungen haben ähnlich schlecht recherchiert. Ganz abgesehen von dem Skandal, dass der Originalartikel in dieser Form in einer angesehen Fachzeitschrift erscheinen konnte.

Quellen:

Freitag, 4. Juni 2010

"Der Koch" von Martin Suter - Teil 2

Im Buch "Der Koch" von Martin Suter stecken jede Menge spannender Chemiethemen. Es folgt der zweite Teil einer Serie zu den naturwissenschaftlichen Hintergründen.

Rotationsverdampfer

Ein Rotationsverdampfer ist eigentlich nichts anderes als eine ausgefeilte Destillationsapparatur. Er dient dazu, Flüssigkeiten mit unterschiedlichen Siedepunkten voneinander zu trennen. Das Besondere daran ist, dass der Behälter mit der zu destillierenden Flüssigkeit schräg in einem Heizbad liegt und langsam rotiert. Durch die Rotation wird an seiner Innenfläche ein feiner Flüssigkeitsfilm hochgezogen. Verdampft wird nun vorwiegend aus diesem Film und nicht aus dem Gros der Flüssigkeit. Während der Film an der heissen Gefässwand nämlich schnell erwärmt wird, bleibt der Rest der Flüssigkeit relativ kühl, weil sie bei langsamer Rotation nicht sonderlich gut durchmischt wird. Der aufgestiegene Dampf wird gekühlt, kondensiert wieder und tropft in einen Auffangkolben. Man kann sagen, dass der Rotationsverdampfer schonender destilliert, weil die Flüssigkeit weniger stark erwärmt werden muss. Ausserdem gibt es keine Probleme mit Siedeverzügen. Im Chemielabor wird der Rotationsverdampfer übrigens zusammen mit einer Vakuumpumpe verwendet, um durch tieferen Druck die Siedepunkte zu senken.

Maravans Essenz entsteht folgendermassen: Durch das Rotationsverdampfen werden leichtflüchtige Duftstoffe und Wasser vom Öl und anderen Substanzen mit hohem Siedepunkt getrennt. Dann lässt Maravan vom Destillat in einem Scheidetrichter das Wasser ablaufen. Übrig bleiben nur Substanzen, die sich nicht gut in Wasser lösen, was bei vielen Duftstoffen der Fall ist. Diese Stoffe mischt er nun wieder mit dem Öl. Im wesentlichen entfernt er also einfach das Wasser.

Im Roman wird ein Rotationsverdampfer aus einem Chemielabor zum Herstellen von Speisen verwendet. Uiuiui, ich will gar nicht wissen, wieviele Vorschriften dabei verletzt werden. Bitte nicht nachahmen!

Dienstag, 1. Juni 2010

"Der Koch" von Martin Suter - Teil 1

Im Buch "Der Koch" von Martin Suter stecken jede Menge spannender Chemiethemen. Es folgt der erste Teil einer Serie zu den naturwissenschaftlichen Hintergründen.

Aphrodisiaka

Bei der überraschenden Wirkung von Maravans Kreationen stellt sich natürlich die Frage, wieviel da wirklich dahintersteckt. Ich habe nur zu einer Zutat entsprechende Studien gefunden, es ist dies - der Safran.

Eine iranische Forschungsgruppe hat verschiedene Inhaltsstoffe von Safran an Ratten getestet. Der Stoff Crocin führte dazu, dass sich die Ratten häufiger paarten. Und so ist ein Crocin-Molekül aufgebaut:

Crocin. Für die gelbe Farbe sind übrigens die vielen konjugierten Doppelbindungen (d.h. abwechselnd Doppel- und Einfachbindung) in der Mitte des Moleküls verantwortlich. Bild aus Wikipedia.

Dieselbe Gruppe hat Männern mit erektiler Dysfunktion Safran verabreicht. Nach zehn Tagen täglicher Einnahme von 200 mg Safran zeigte sich eine deutlich positive Wirkung. Wobei das eine Pilotstudie ohne Kontrollgruppe war. Von wegen Placeboeffekt und so... Eindeutig nachgewiesen ist der Effekt damit also nicht. Ein Mengenvergleich: Maravans Menu enthält 3.5 g Safran pro Person - was übrigens ganz schön ins Geld geht, 1g Safran kostet bei Coop SFr. 8.60.

Die Wirkung auf (menschliche) Frauen haben sie nicht untersucht. Wollen wir ihnen einen Brief schreiben? Allerdings könnte das im Iran ja womöglich ein Politikum darstellen...

Aber wäre es denn überhaupt wünschenswert, ein solches Superaphrodisiakum wie Maravans Menu zur Verfügung zu haben? Rein biologisch betrachtet natürlich ;-) Höchstwahrscheinlich würde es nämlich auch im Belohnungszentrums unseres Gehirns eingreifen. Und da besteht dann grösste Suchtgefahr.

Quellen:
  • Hosseinzadeh, H. et al. The effect of saffron, Crocus sativus stigma, extract and its constituents, safranal and crocin on sexual behaviors in normal male rats. Phytomedicine 2008 Jun;15(6-7):491-5. - abstract
  • Shamsa, A. et al. Evaluation of Crocus sativus L. (saffron) on male erectile dysfunction: a pilot study. Phytomedicine 2009 Aug;16(8):690-3. - abstract
  • Und hier noch ein interessanter Artikel von Christiane Löll in der Zeit: Die Lust im Kopf.

Sonntag, 30. Mai 2010

Wikipedia und die weibliche Sexualität

Vorweg eine Warnung: Bei diesem Eintrag handelt es sich nicht um ein Neuigkeit aus der naturwissenschaftlichen Forschung, sondern um meine Meinung zu den deutschsprachigen Wikipedia-Seiten über weibliche Geschlechtsorgane. Die ist natürlich subjektiv. In diesen Zeilen entlädt sich meine geballte Wut über Jahrtausende des Patriarchats. Wer das nicht lesen will, der möge hier stoppen.

Ich habe gerade "Der Koch" von Martin Suter fertiggelesen. Das Buch ist nicht nur unterhaltsam und ein bisschen sozialkritisch, sondern gibt auch aus naturwissenschaftlicher Sicht einiges her. An dieser Stelle wird bald ein Eintrag dazu folgen. Ein kleines Amuse-Bouche für alle, die das Buch gelesen haben: Was ist eigentlich ein Rotationsverdampfer? Welche Zutaten zu Maravans Menu haben nachgewiesenermassen eine aphrodisierende Wirkung? Beginnt mit S...

Aber darum geht es jetzt nicht. Es geht darum, dass ich wegen dieses Themas Wikipedia aufgerufen habe, um meine Physiologie- und Neurologiekenntnisse etwas aufzufrischen. Und zum ersten Mal in meinem Leben wurde ich von der deutschsprachigen Wikipedia schmählich im Stich gelassen!

Der Verlauf der Erektion beim Mann wird ausführlich beschrieben. Sucht man hingegen nach etwas Vergleichbarem für die Frau, findet man erstmal nur eine Randbemerkung. Wenn man sich die Informationen dann mühsam zusammenklaubt (unter Vulva gibt es weit unten einen kleinen Unterabschnitt), fällt folgendes auf:
  • Viele Photos weiblicher Geschlechtsteile - gerne auch zwei oder drei, die dasselbe zeigen. Dafür kaum schematische Abbildungen, die Auskunft über Aufbau und Vorgänge im Inneren des Körpers geben würden. Nicht dass ich etwas gegen die photographische Abbildung weiblicher Geschlechtsorgane hätte, zuallerletzt in einem wissenschaftlichen Artikel. Es geht mir ums Verhältnis und den Informationsgehalt.
  • Unter Klitoris befasst sich der grösste Abschnitt mit Wissenschaftsgeschichte, der zweitgrösste mit Missbildungen. Dabei gibt es dafür extra noch einen separaten Artikel! Ein Verweis würde also genügen. Ach ja, Stimulation gibts auch noch. Ist nämlich nötig zum Orgasmus. Oha, wieder was gelernt. Dafür schafft es der Artikel nicht, eindeutig zwischen gesamter Klitoris und Eichel zu unterscheiden.
  • Unter Vulva gibt es neben vielen Photos und einer grossen Masstabelle (Soll ich jetzt etwa nachmessen, ob meine Vulva der Norm entspricht? Ha! Macht das mal für die Männer! Den Aufschrei würde man bis nach Australien hören.) auch den oben erwähnten winzigen Abschnitt zu den physiologischen Vorgängen bei sexueller Erregung.
  • Der Abschnitt zu Intimpiercings ist übrigens fast ebenso lang, führt aber dreieinhalb mehr Referenzen auf, davon fünfmal mehr zu peer-reviewed Quellen. Darf ich daraus schliessen, dass fünfmal mehr über Intimpiercings geforscht wird als über weibliche Erregung?
  • Es gibt extra einen Artikel Penis des Menschen, unter Vulva aber werden gleich alle Säugetiere abgehandelt!!! (Nein, ich kanns auch nach dem dritten Ausrufezeichen noch nicht fassen.)
  • Weibliche Ejakulation hingegen hat es zu einem eigenständigen Eintrag gebracht! Unter Literatur ist an erster Stelle aufgeführt: Die mangelhafte Geschlechtsempfindung des Weibes. (Ok, die Positionierung liegt natürlich am Namen des Autors.) Immerhin ist das Photo ausnahmsweise tatsächlich informativ und dient nicht nur der Dekoration.
  • Lubrikation hat auch einen eigenen Eintrag. Nun, das Thema ist wohl auch für Männer marginal interessant.
  • Brustwarzen sind in ein oder zwei Nebensätze als erogene Zonen wert. Interessant scheinen auch hier vor allem anatomische Besonderheiten (z.B. Schlupfwarzen) zu sein.
  • Sexueller Reaktionszyklus zitiert Forschungen der 60er- und 70er-Jahre. Gibt es da wirklich nichts neues?
Die entsprechenden englischsprachigen Seiten sind, wenn auch nicht über alle Zweifel erhaben, um Welten besser. Anstelle von vielen aussagelosen Photos stehen hier erklärende schematische Abbildungen, und die neurophysiologischen Vorgänge im sind wesentlich ausführlicher erläutert. Sexualität spielt sich hier nicht nur ausserhalb des Körpers ab.

Verständlicherweise führen die englischen Artikel weiter als die deutschen. Ich suche oft exotische Begriffe, zu denen nur ein englischer Beitrag besteht. Aber hier geht es um ein Thema, das fast die Hälte der Menschheit direkt und einen Grossteil des Rests zumindest indirekt betrifft! Sicher wurde es lange von der Forschung sträflich vernachlässigt, aber hey, wir befinden uns im Jahre 2010, die 60er liegen schon fast ein halbes Jahrhundert zurück.

Richtig spannend wirds erst in den Diskussionsseiten. Da findet sich unter anderem folgende bezeichnende Anekdote auf Diskussion:Klitoris
"Das Wissen, dass die Klitoris aus weit MEHR als der von außen sichtbaren Eichel der Klitoris besteht, ist nicht neu! Das Problem ist vielmehr, dass die Anatomie der Klitoris im Medizinstudium lange nur als Geheimwissen weitergegeben wurde und nicht Teil des Lehrplans war. Ich habe 1987 in Wien meinen Sezierkurs im Rahmen des Medizinstudiums absolviert. Der Penis wurde nach Lehrplan in Eichel, weichen und harten Schwellkörper zerlegt. Die weibliche Klitoris war nicht im Sezierplan, aber der Assistent wies uns an, die 4 Arme der Klitoris (rechts und links der Vulva je ein weicher und ein harter Schwellkörper etwa in der Länge der kleinen Schamlippen) freizulegen. Als alle es gesehen hatten, wurde die Klitoris schnell wieder entfernt, während die anatomischen Teile des Penises noch tagelang an der Nachbarleiche baumelten."
Seit 1987 sind aber auch schon ein paar Jährchen vergangen. Es gibt Personen, also zum Beispiel ich, die der Ansicht waren, in dieser Zeit hätte sich etwas geändert.

Ausserdem stehen sich in der Disussion folgende interessante Informationen - warum haben die es nicht in den Artikel geschafft?
"Die ARME ODER SCHENKEL DER KLITORIS umfassen die Scheidenöffnung rechts und links und sind etwa so lange wie die kleinen Schamlippen, in deren Tiefe sie sich auch befinden. Der HARTE SCHWELLKÖRPER besteht bei Frauen nur mehr aus NERVENGEWEBE; sie sehen daher wie zwei silberne einige Zentimeter lange makkaronidicke Gebilde aus. Der WEICHE SCHWELLKÖRPER besteht aus einem VENENGEFLECHT, sieht also wie 2 blau-violette längliche Schwämmchen aus, die die Scheidenöffnung links und rechts umfassen. Schwillt der weiche Schwellköper an, kommt der harte Schwellkörper mit seinen Nerven unter erhöhte Zugspannung - frau fühlt sich erregt und will Sex, etc.
Übrigens: Beim Mann schwillt bei der Erektion der HARTE Schwellkörper an, während bei der FRAU bei Erregung der WEICHE Schwellkörper anschwillt. Wenn frau ein Pulsieren in der Vulva spürt, spürt sie, wie das Blut in den weichen Schwellkörper der Klitoris einströmt. Die kleinen Schamlippen sehen dann auch stärker durchblutet und leicht geschwollen aus."
So, wer meinen Schreibstil kennt, dem fällt schon an der Häufung von Ausrufezeichen auf, dass ich mehr als nur sauer bin. Ich befinde mich irgendwo zwischen Rot- und Weissglut. Wahrscheinlich wählt mein Freund nächstens 144, weil mein Mund zu schäumen beginnt. Ich verspüre den Drang, persönlich jeden Mann (und von mir aus auch jede Frau), der je irgendeinen Schrott zur weiblichen Sexualität verkündet hat, zu erwürgen - dummerweise sind die meisten längst vermodert. Vielleicht sollte ich Voodoopuppen basteln. Funktioniert sowas auch posthum?

Ich rufe alle deutschsprachigen Anatominnen, Neurophysiologinnen, Gynäkologinnen und sonstigen Fachfrauen auf: Tragt was Ihr könnt dazu bei, diese Seiten zu verbessern! Denkt an all die Mädchen und jungen Frauen, die sich auf Wikipedia über ihren Körper informieren!

An alle anderen Frauen: Bitte hinterlasst hier einen Kommentar, ob Ihr mit meiner Kritik einverstanden seid oder nicht. Bei genügend Rückmeldungen werde ich versuchen, diese Kritikpunkte in die Diskussion auf Wikipedia einzubringen.

Eine Schlussbemerkungen an die Männer, die bis hierhin durchgehalten haben: Ich bin nicht wütend auf Euch. Ich bin wütend auf Eure Urgrossväter, und auch die können ja nicht so viel dafür, sie kannten ja nichts anderes. Die meisten Männer, die ich kenne, sind ganz tolle Menschen! Über das Thema, dass es auch im Mann noch andere Vorgänge gibt als die Erektion des Penis, müsst Ihr Euch aber selbst aufregen.

Quellen:
Alle Links zu Wikipediaseiten im Text sind Permanent-Links, die zur Seite führen, wie sie zum Zeitpunkt des Schreibens (29./30.5.2010) im Internet erscheint.

Samstag, 29. Mai 2010

Universeller Grippeimpfstoff bald nicht mehr Zukunftsmusik?

Wer sich gegen Grippe impfen lassen will, muss diese Impfung praktisch jedes Jahr wiederholen. Denn die Grippeviren mutieren ständig, so dass bisherige Antikörper nicht mehr wirken. Ausserdem braucht das Herstellen des Impfstoffs seine Zeit. Neun Monate vor der nächsten Grippewelle wird deshalb versucht vorherzusagen, welche Virenstämme diesmal wohl kommen werden. Je nachdem, wie treffend die Vorhersage war, wirkt der Impfstoff besser oder nicht ganz so gut.

Es wäre also enorm nützlich, einen Grippeimpfstoff zu haben, der etwas breiter wirkt. Dann müsste man sich auch nicht jedes Jahr neu impfen lassen, und die Angst vor einer Pandemie hielte sich in Grenzen. Forschern an der Mount Sinai School of Medecine (nein, die steht nicht in Ägypten, sondern in New York) scheint hier ein entscheidender Durchbruch gelungen zu sein.

Ziel des Impfstoffes ist das Protein Hämagglutinin (HA) in der Virenhülle, genauer die Untereinheit HA2. Diese variiert zwischen verschiedenen Virenstämmen nämlich nur wenig im Vergleich zum Rest des Proteins. Jetzt gibt es aber ein Problem (sonst hätten wir den universellen Impfstoff ja schon lange): Die Untereinheit HA2 steckt grossteils in der Virenhülle, und was daraus herausragt, wird von der Untereinheit HA1 verdeckt. Aus diesem Grund können Antikörper an HA2 nur schlecht andocken. Die Forschungsgruppe hat daher nach Wegen gesucht, die HA2-Untereinheit im Impfstoff freizulegen und somit für Antikörper zugänglich zu machen.

Erfolgreich waren sie mit der Methode, den störenden Kopfbereich der HA1-Untereinheit herauszuschnipseln und die beiden Enden durch einige wenige Aminosäuren, die Bausteine der Proteine, zu ersetzen. Das sieht dann so aus:

Oben das Schema des ungefalteten Proteins HA. Der mittlere Teil der HA1-Untereinheit (blau) wird entfernt und durch verschieden Aminosäurensequenzen ersetzt. Unten Modelle des vollständig gefalteten Proteins mit und ohne HA1-"Kopf". Steel et al. 2010.

Mit einem Impfstoff aus solchen "kopflosen" HA-Proteinen wurden Mäuse erfolgreich gegen Grippeviren desselben Stammes immunisiert. Die Antikörper, die die Mäuse produziert hatten, wurden auch auf ihre Wirksamkeit gegen andere Virenstämme gestestet. Dabei ergab sich folgendes Muster: War das kopflose HA-Protein vom Subtyp H1, waren die Antikörper wirksam gegen die Subtypen H1, H2 und H5, nicht aber gegen H3. Bei kopflosem HA vom Subtyp H3 verhielt es sich gerade umgekehrt: diese Antikörper bekämpften erfolgreich H3-Viren, nicht aber H1, H2 oder H5.

Dieses Verhalten macht durchaus Sinn, wenn man den Aufbau des HA-Proteins näher betrachtet. Da lassen sich die H-Subtypen in zwei grosse Gruppen teilen, die sich im Aufbau von HA deutlich unterscheiden. H1, H2 und H5 gehören zur ersten Gruppe, H3 hingegen zur zweiten. Deshalb zeigten die Antikörper bei der jeweils anderen Gruppe keine Wirkung.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass hiermit möglicherweise der Grundstein gelegt wurde für einen Impfstoff, der gleichzeitig gegen mehrere Influenza-Subtypen wirkt.

Quelle:
Steel, J. et al. Influenza Virus Vaccine Based on the Conserved Hemagglutinin Stalk Domain. mBio 1:1 e00018-10; Published 18 May 2010, doi:10.1128/mBio.00018-10 (Bei mBio handelt es sich übrigens um ein brandneues Journal der American Society for Microbiology - online und frei zugänglicher Volltext.)

Freitag, 21. Mai 2010

Eine Fabrik aus DNA

Das ist richtig cool: Eine Fabrik aus DNA-Molekülen, die Nanopartikel zusammenbauen. Nein, es ist kein verspäteter Aprilscherz, das funktioniert wirklich.

Grob umrissen sieht das folgendermassen aus: Ein dichtes Gewebe aus DNA-Strängen bildet das Grundgerüst (ein sogenanntes DNA-Origami). Darauf bewegt sich der "Läufer" vorwärts, der aus mehreren kurzen DNA-Strängen besteht. An mehreren Stationen wird dieser "Läufer" mit Nanopartikeln beladen. So wird es möglich, Nanopartikel nach einem regelmässigen Muster zusammenzuführen.

 Schema der Fertigungsstrasse. Der "Läufer" bewegt sich von links nach rechts und nimmt dabei Nanopartikel (grün) auf. Hongzhou Gu et al. 2010.

Erstaunlich, nicht wahr? Aber weshalb verwendet man dazu gerade DNA? Dazu muss ich etwas ausholen. Im Erbgut liegt die DNA in Form einer Doppelspirale vor. Die beiden Stränge halten dabei durch Wasserstoffbrücken (WSB) zusammen, und zwar sind es zwischen den Nukleotiden Adenin (A) und Thymin (T) zwei WSB, und zwischen den Nukleotiden Guanin (G) und Cytosin (C) drei WSB. Deshalb kann A nur mit T und G nur mit C kombiniert werden. Ein Strang mit einer bestimmten Nukleotidsequenz (z.B. AGTC) verbindet sich mit einem Strang mit komplementärer Nukleotidsequenz (im Beispiel TCAG). Durch geschickte Auswahl der Nukleotidreihenfolge und durch Hilfsstränge lässt sich DNA in geradezu bizarre Formen falten. Solche Kunstwerke werden DNA-Origami genannt.

Beispiele von DNA-Origami. Links Modell, rechts Bild im Rasterkraftmikroskop. Der weisse Balken im letzten Bild (s) misst 100 nm. Paul W. K. Rothemund 2006.

Der Läufer besteht aus einzelnen DNA-Strängen, die nur stellenweise zu Doppelsträngen verbunden sind. Er hat vier Beine mit Füssen aus Einzelsträngen, die an Fortsätze mit komplementärer Nukleotidsequenz aus dem Origami binden können. Normalerweise steht der Läufer auf zwei Füssen. Um ihn vorwärts zu bewegen, wird die Verbindung zu einem Fuss gelöst, worauf sich einer der freien Füsse einen neuen Halt sucht. Solche Roboter aus DNA werden übrigens auch als "Nubots" für "nucleic acid robots" bezeichnet.

"Läufer" aus DNA-Strängen. Die mit F bezeichneten Stränge sind die Füsse. Hongzhou Gu et al. 2010.


Quelle:
Gu, H. et al. Nature 465, 202-205 (13 May 2010) | doi:10.1038/nature09026 - abstract

Dienstag, 18. Mai 2010

Vom kritischen Denken

Die Kapazität unseres Hirns ist nicht unbeschränkt. Deshalb ist es gefährlich, während des Autofahrens zu telephonieren: Das Telephonieren beansprucht zuviel Hirnkapazität. Besonders anstrengend für unser Hirn ist kritisches Denken, deshalb schalten wir diesen Prozess gerne auch mal ab. Das ist während einer Hypnose der Fall, aber auch in Gesellschaft, der wir vertrauen. Eine aktuelle Studie hat gezeigt, dass auch charismatische Redner (in der Studie: christliche Glaubensheiler) diesen Effekt haben können, wenn der Zuhörer ihnen Vertrauen entgegen bringt. Dass ein Redner sein Publikum hypnotisiert, ist also nicht bloss eine Redensart, sondern eine überraschend exakte Beschreibung.


Links:
  • Wie selektiv unser Hirn arbeitet, zeigt eindrücklich der "Color Changing Card Trick".
  • Wer sich für das faszinierende Gebiet der Hirnforschung interessiert, dem empfehle ich die exzellente Zusammenfassung des aktuellen Forschungsstandes zum Thema kritisches Denken von Steven Novella auf NEUROLOGICAblog, woher auch meine Informationen zu diesem Eintrag stammen.

Sonntag, 16. Mai 2010

Öl im Golf von Mexiko - Update

Diese Woche wurden einige zusätzliche Informationen zum Dispergiermittel-Einsatz veröffentlicht, daher hier eine Aktualisierung zu meinem Eintrag von letzter Woche.

Bis gestern wurden über 560'000 Gallonen Dispergiermittel eingesetzt, das sind über 2 Millionen Liter. Weitere 260'000 Gallonen (fast eine Million Liter) sind vorrätig.

Zusammensetzung des Erdöls

Die gute Neuigkeit: Das austretende Erdöl ist nicht ganz so giftig, wie Erdöl normalerweise ist. Es enthält nämlich vergleichsweise wenig Verbindungen mit Schwefeatomen und wenig polyaromatische Kohlenwasserstoffe. Dies sind die problematischsten Bestandteile von Rohöl.

Einsatz von Dispergiermitteln an der Quelle

Die US-Umweltbehörde EPA hat ihr OK für den Einsatz von Dispergiermitteln unter Wasser am Ort des Austritts gegeben, allerdings verbunden mit strengen Auflagen. So muss die Ausbreitung des Dispergiermittel-Öl-Gemischs überwacht werden und es müssen regelmässig Wasserproben genommen werden, mit denen unter anderem auch Toxizitätstests durchgeführt werden.

Der Einsatz an der Quelle reduziert die Menge der benötigten Dispergiermittel. Dafür lässt sich das ökologische Risiko wesentlich schwieriger einschätzen, da wir über die Biologie von Meeresboden und Tiefsee nicht so viel wissen. Die Tiefsee dürfte empfindlicher reagieren als die Meeresoberfläche, da hier sehr viel weniger Organismen leben. Falls das Öl im tiefen, kalten Wasser bleibt, dauert es viel länger, bis es von Bakterien abgebaut wird, als im warmen Oberflächenwasser.


Quellen:

Freitag, 7. Mai 2010

Öl im Golf von Mexiko - sind die eingesetzten Dispergiermittel ein Problem?

Photograph by William Colgin

Der Kampf gegen das Öl vor New Orleans dauert an. Eine Massnahme ist dabei der Einsatz von Dispergiermitteln, die es ermöglichen, dass sich das Öl mit dem Meerwasser vermischt und nicht als Teppich obenauf liegt. Da stellt sich die Frage, ob der Einsatz grosser Mengen nicht selbst ein ökologisches Problem darstellen könnte. Bis heute wurden 267'195 Gallonen eingesetzt, das ist rund eine Million Liter. Deshalb habe ich die Sicherheitsdatenblätter studiert, die freundlicherweise auf dem Internet zur Verfügung gestellt werden: http://www.deepwaterhorizonresponse.com/go/doctype/2931/53023/

Es werden offenbar zwei verschiedene Mittel eingesetzt: COREXIT® 9500 und COREXIT® 9527 der Firma Nalco. Das Risiko für Mensch und Umwelt wird auf den Sicherheitsdatenblättern für beide Produkte als gering eingeschätzt. Doch schauen wir uns die Inhaltsstoffe genauer an.

1,2-Propandiol

  • Völlig harmlos, wenn man nicht gerade eine volle Ladung in die Augen kriegt.
  • Auch langfristig sollte es kein Problem darstellen, da es sowohl in unserem Verdauungssystem als auch in der Umwelt wunderbar abgebaut wird.
  • Eingestuft als schwach wassergefährdend1.

Destillate (Erdöl), hydriert, leicht

  • Nur in Corexit9500 vorhanden.
  • Völlig irrelevant angesichts der Riesenmenge an Erdöl, die sowieso schon vorhanden ist - es handelt sich nämlich einfach um bestimmte Komponenten von Erdöl.

Ethylenglykolmonobutylether

Jetzt wirds langsam spannend...
  • Nur in Corexit9527 vorhanden.
  • Gesundheitsschädlich: reizt Augen und Atemwege, führt zu Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen... die üblichen Vergiftungssymptome eben.
  • In hohen oder wiederholten Dosen kann es die roten Blutkörperchen zerstören sowie Leber und Niere schädigen.
  • Kein bekanntes Krebserreger. Das heisst erstmal einfach, dass es dazu keinerlei Studien gibt. Es wurde aber zumindest nachgewiesen, dass der Stoff das Erbgut nicht schädigt.
  • Biologisch abbaubar.
  • Eingestuft als schwach wassergefährdend.1

Organische Sulfonate - das grosse Fragezeichen

Die Bezeichnung "organische Sulfonate" ist mässig aussagekräftig. Der Name Sulfonat beschreibt nämlich nur das eine Ende seiner Bauteilchen. Über das andere Ende wissen wir so ziemlich gar nichts, das ist Betriebsgeheimnis. Was auch seine Berechtigung hat, schliesslich hat die Firma viel in die Entwicklung investiert. Aber es erschwert eine ökologische Bewertung durch Aussenstehende ungemein. Alles, was ich tun kann, ist das Zeug kaufen und meine Fische damit füttern, wenn ich denn welche hätte. Daher kann ich hier nur sagen:
  • Im Sicherheitsdatenblatt sind keine gesundheitsschädlichen Wirkungen aufgeführt.
  • Gemäss Sicherheitsdatenblatt ist das Risiko für die Umwelt gering.
Hier ein paar Beispiele, wie unterschiedlich Sulfonate sein können:
Wer Spass daran hat, kann jetzt herausdüfteln, was alle Sulfonate gemeinsam haben.

Ökologische Risiken

Der Einsatz von Dispergiermitteln kann vor allem in flachem Wasser problematisch sein. Das Öl bleibt dann nicht an der Oberfläche, sondern gelangt bis auf den Meeresgrund und erreicht so die dort lebenden Organismen. Erdöl kann vielerlei giftige Substanzen enthalten. Vielen Tierarten dient der Meeresboden zur Fortpflanzen, und Jungtiere sind besonders empfindlich. Ebenso stellen Korallenriffe hochempfindliche Ökosysteme dar. Da das Meer im Bereich des Mississippi-Flussdeltas recht flach ist, sollte darauf geachtet werden, die Dispergiermittel nur mit genügend Abstand zum Flachwasser auszubringen.

Ist die grosse Menge ein Problem?

Abschnitt geändert am 9.5., nachdem ich neue Daten zu dieser Frage gefunden habe.

Um diese Frage zu beantworten, vergleiche ich die erwarteten Dispergiermittel-Konzentrationen im Meerwasser mit verfügbaren Toxizitätsdaten.

Die Dispergiermittel-Konzentration abzuschätzen, ist gar nicht so einfach. Die eingesetzte Menge hängt nämlich von der (geschätzten) Dicke der Ölschicht ab. Ich beschränke mich hier auf den Fall einer sehr dicken Schicht, denn dort sind die höchsten Konzentrationen zu erwarten. Ein dicker Ölteppich enthält über 200 m3 Öl pro km2. Das Dispergiermittel wird in einem Volumenverhältnis von 1:20 eingesetzt, d.h. bei einem dicken Ölteppich mindestens 10 m3/km2. Man nimmt an, dass sich das Dispergiermittel gleich zu Beginn in die obersten 30 Fuss, also etwa 9 Meter einmischt. D.h. kurz nach dem Ausbringen würde ein m3 Meerwasser 1.1·10-6 m3 Dispergiermittel enthalten.

Toxizitätsdaten werden aber immer in Masseneinheiten angegeben. Wir müssen also mit Hilfe der Dichte umrechnen. Diese beträgt 7.91 lb/gal für Corexit9500 und 8.2-8.5 lb/gal für Corexit9527. (An dieser Stelle die höfliche Anregung an die USA, doch endlich auf das so viel praktischere Metrische System umzustellen.) Wenn ich richtig gerechnet habe, liegt die Dichte also bei etwa 950 bzw. 1'000 kg/m3. Aber es ist schon spät, ich wäre froh, wenns jemand nachrechnen könnte. Corexit9500 wird sich durch die geringere Dichte vermutlich weniger schnell mit dem Meerwasser vermischen als Corexit9527 und eher obenauf schwimmen, wie auch in den Sicherheitsdatenblättern beschrieben. (Das scheint übrigens bei der Abschätzung der Einmischtiefe nicht berücksichtigt worden zu sein.) Nehmen wir 1'000 kg/m3, das macht die Rechnung einfacher und ist für diese Abschätzung genau genug. Ich komme damit auf eine Dispergiermittel-Konzentration von rund 0.001 kg/m3 oder 1 ppm (bei einer Dichte des Meerwassers von ca. 1 kg/L).2

Vergleichen wir diese Zahl nun mit Toxizitätsdaten.

TierartCorexit9527Corexit9500
Garnele49.4 ppm83.1 ppm
Barsch (Larve)14.3 ppm19.8 ppm
Konzentrationen, bei denen nach 96 Stunden 50% der Tiere gestorben waren. Gulec und Douglas 2000.

Ein Übersichtsartikel gibt als tiefsten Wert 1.6 ppm für Mollusken und Corexit9527 an (George-Ares und Clark).

Die erwarteten Konzentrationen sind im Extremfall also fast so hoch wie der tiefste Toxizitätswert. Das ist kritisch, denn auch bei tieferen Konzentrationen gibt es noch Tiere, die daran sterben oder mindestens beeinträchtigt sind. Wenigstens stellt die berechnete Konzentration einen Extremfall dar, der wohl nur für einige Stunden erreicht wird, da die weitere Durchmischung im Meer zu einer Verdünnung führt.

Nun will ich noch versuchen, abzuschätzen, in welchen Mengen die Dispergiermittel tatsächlich eingesetzt werden. Bis zum 7.5. wurden 267'195 Gallonen, bis zum 8.5. 290'000 Gallonen ausgebracht, macht 22'805 Gallonen (86'327 Liter) in einem Tag. Ein Flugzeug kann drei Flüge täglich durchführen und deckt mit einem Flug 250 acres, das ist etwa ein Quadratkilometer, ab.  Sagen wir, es werden zehn Flugzeuge eingesetzt, diese decken also 30 km2 pro Tag ab. Damit hätten wir eine durchschnittliche Dispergiermittelmenge von rund 3 m3 pro km2, etwa dreimal weniger als oben für den Maximalfall angenommen. Die Konzentrationen, die im Meerwasser erreicht werden, dürften also im Allgemeinen tiefer liegen als 1 ppm. Trotzdem hoffe ich, dass eine Obergrenze für den Einsatz der Dispergiermittel eingehalten wird.


1Die Wassergefährdungsklasse ist eine Einstufung in Deutschland, die z.T. auch in der Schweiz angewendet wird. Als juristische Laiin konnte ich innert nützlicher Frist nicht herausfinden, welche Konsequenzen diese Einstufung hat.
2ppm steht für "parts per million" und bezieht sich hier auf das Gewicht. D.h. 1 ppm entspricht 1 mg/kg.


Quellen:

Montag, 3. Mai 2010

Am 26. April war Boobquake-Tag

Leider habe ich erst im Nachhinein von diesem Ereignis erfahren. Der iranische Geistliche Hojatoleslam Kazem Sedighi hat behauptet: Frauen, die sich nicht züchtig kleiden, korrumpieren die Keuschheit junger Männer, was wiederum, man höre und staune, Erdbeben verstärkt.

Die amerikanische Studentin JenMcCreight hat sich gesagt: "Testen wir diese Theorie", und für den 26. April den Boobquake-Tag ausgerufen. Frauen, holt eure freizügigsten Kleider aus dem Schrank, bringen wir die Erde zum beben! Ist das nicht grossartig?

Eine statistische Analyse zeigt, dass am 26. April weder mehr noch stärkere Beben als im Durchschnitt stattfanden. Jen McCreight räumt allerdings ein, dass die Studie rigorosen wissenschaftlichen Ansprüchen nicht gerecht werde. Unter anderem fehle ein Kontrollplanet, auf dem die Frauen nur Burkas tragen.

Übrigens tun mir ja die Männer leid, die sich Frauen so hilflos ausgeliefert fühlen...

Quellen:
Artikel in der New York Times, der Hojatoleslam Kazem Sedighi zitiert: http://www.nytimes.com/2010/04/20/world/middleeast/20briefs-Iran.html
Statistische Auswertung von Boobquake: http://www.blaghag.com/2010/04/and-boobquake-results-are-in.html

Montag, 26. April 2010

Erfahrungen mit gentechnisch veränderten Feldfrüchten in den USA

Gentechnisch veränderte Organismen (GVO) sind in den USA auf dem Vormarsch. 2009 waren 80% der angebauten Sojabohnen, Mais und Baumwolle gentechnisch verändert. Jetzt ist eine Studie erschienen, die ihre ökonomischen und ökologischen Auswirkungen auf Bauernhofebene untersuchte.

In den USA werden Sojabohnen, Mais, Baumwolle, Raps und Zuckerrüben, die gegen den Wirkstoff Glyphosphat in Herbiziden resistent sind, angebaut. Mais und Baumwolle können zudem selbst ein Insektizid gegen ausgewählte Schädlingsarten produzieren. Die Gene dafür stammen vom Bakterium Bacillus thuringiensis, das schon lange zur Insektenbekämpfung eingesetzt wird.

Die wichtigsten Resultate


Ökologie

  1. Der Herbizidverbrauch wurde gesenkt, oder es wurden weniger ökotoxische Herbizide eingesetzt.
  2. Der Anbau von herbizidresistenten Pflanzen geht mit bodenschonenderen Pflugmethoden einher. Dadurch nimmt die Erosion ab und die Bodenqualität verbessert sich.
  3. Die beiden erstgenannten Punkte dürften zu einer besseren Wasserqualität führen. Es existieren aber nicht genügend Messdaten, um diese Vermutung nachzuweisen.
  4. Unkräuter konnten Resistenzen gegen Glyphosphat entwickeln, wenn dies das einzige eingesetzte Herbizid war und keine weiteren Massnahmen zur Unkrautbekämpfung getroffen wurden.
  5. Die Entwicklung von Resistenzen bei Insekten wurde durch flankierende Massnahmen erfolgreich eingedämmt. In 14 Jahren sind nur 2 Fälle aufgetaucht.

Ökonomie und Soziologie

  1. Im Allgemeinen war der Anbau von GVOs für die Bauern von Vorteil, hauptsächlich dank eines verminderten Ertragausfalls und geringeren Zeitaufwands.
  2. Die Auswirkungen auf Bauern, die keine GVOs anbauen, sind gemischt. Herbizid- und Insektizidpreise ändern sich aufgrund veränderter Nachfrage. Es besteht die Möglichkeit, einen höheren Preis für nicht gentechnisch veränderte Produkte zu erzielen. Andererseits gibt es keine Möglichkeit, die Verunreinigung durch benachbarte Felder auszuschliessen.
  3. Die Integration der Samenproduktion in die chemische Industrie hat bisher nicht zu ökonomischen Nachteilen für die Bauern geführt.

Fünf Caveats der Autoren

  1. Die zunehmende Kontrolle privater Firmen über die Gensubstanz von Feldfrüchten könnte auf lange Sicht zu zunehmenden Saatgutpreisen führen.
  2. Wir wissen immer noch zu wenig darüber, wie sich der Einsatz von GVOs auf die Umwelt insgesamt auswirkt.
  3. Die Forschung konzentriert sich zur Zeit auf die Einführung von Resistenzen bei den häufigsten Feldfrüchten. Früchte und Gemüse werden kaum erforscht, ebensowenig weitere mögliche gentechnische Veränderungen, z.B. eine verbesserte Nährstoffnutzung oder Toleranz gegen Trockenheit.
  4. Soll in nicht-GVO-Produkten ein gewisser Anteil von GVOs erlaubt sein? Es ist sowohl bei der Produktion als auch beim Vertrieb enorm aufwendig, eine Kontamination zu verhindern.
  5. Andere Länder (sprich: das böse, böse Europa) können den Import von GVOs einschränken und dadurch den Markt verkleinern.
So, da hätten wir wieder etwas Futter für die Gentechdebatte. Überraschende Erkenntnisse sind vielleicht nicht dabei, aber doch der eine oder andere interessante Punkt. Es sind also durchaus ökologische Vorteile zu verzeichnen, aber die Entwicklung von Resistenzen sollte überwacht und durch entsprechende Massnahmen kontrolliert werden.


Quelle:
Committee on the Impact of Biotechnology on Farm-Level Economics and Sustainability: Impact of Genetically Engineered Crops on Farm Sustainability in the United States. The National Academies Press 2010.Die gesamte Studie kann online eingesehen werden: http://www.nap.edu/openbook.php?record_id=12804&page=1

Donnerstag, 22. April 2010

Das erste mehrzellige Tier, das ohne Sauerstoff auskommt

Bis vor kurzem kannte man keine vielzelligen Tiere, die nicht auf Sauerstoff angewiesen sind. Obwohl theoretisch denkbar, hatte man solche nie gefunden. Bis vor kurzem. Aber jetzt haben Biologen eines entdeckt. Was ist das für ein Tierchen, und wo und wovon lebt es?

Es handelt sich um eine neue Tierart des Stammes der Korsetttierchen. Diese sind kleiner als ein Millimeter, haben einen stachelbewehrten Kopf und einen Rumpf mit plattenbesetztem Panzer. Es scheinen also recht standhafte Tierchen zu sein. Sie leben im Meeresboden, wo sie sich an Sandkörner heften.

 Eines der anaeroben Korsetttierchen. Die Färbung ist künstlich.
Grösse des Tierchens ca. 0.2 mm.

Die neue Art wurde im Mittelmeer entdeckt, und zwar im Bassin L'Atalante, einem hypersalinen, anoxischen Tiefseebecken. Die Lebensbedingungen dort sind harsch: hoher Druck, hoher Salzgehalt, toxischer Schwefelwasserstoff und kein Sauerstoff.

Diesem Korsetttierchen fehlt ein wesentlicher Zellbestandteil, in welchem bei Tieren Sauerstoff verarbeitet und Energie gewonnen wird: die Mitochondrien. Stattdessen wurden in ihm Organellen entdeckt, die bisher noch nie in einem mehrzelligen Tier gefunden wurden. Diese heissen Hydrogenosomen und dienen demselben Zweck wie die Mitochondrien, nur dass sie nicht Sauerstoff (O2) verarbeiten. Anstelle dessen nehmen sie Molekülen, die H-Atome enthalten, die H-Atome weg und bilden daraus Wasserstoff (H2). Für alle, die etwas chemische Kenntnisse haben: Es handelt sich dabei um eine Reduktion, also eine Elektronenaufnahme. Die zugehörige Oxidation ist der Abbau von Traubenzucker (Glucose) zu CO2.

Hier finden wir auch einen möglichen Grund, warum die Tierchen hohen Schwefelwasserstoffkonzentrationen standhalten. Schwefelwasserstoff verhindert nämlich die Sauerstoffverarbeitung in den Mitochondrien, deshalb ist er für uns giftig. Ausserdem behindert er auch den Sauerstofftransport durch das Blut. Aber wenn man keine Mitochondrien hat, ist das natürlich kein Problem.

Das grosse Rätsel ist jetzt die Evolution dieses Tieres. Wie kam es dazu, dieses unwirtliche Habitat zu besiedeln? Und wie erreichte es die Anpassung, d.h. wie entwickelten sich die Hydrogenosomen? So sind die unscheinbaren Korsetttierchen plötzlich enorm spannend geworden.

Quellen:
Danovaro, R. et al. BMC Biology 2010, 8:30 doi:10.1186/1741-7007-8-30

Die Medien und die Moral

Magnet knipst Moral aus - www.wissenschaft.de
Forscher legen die Moral lahm - science.orf.at 
Magnet kann Moral ausschalten - www.bild.de


Derartige Schlagzeilen waren in letzter Zeit vielerorts zu lesen. Worum geht es?

Szenario: Grace und ihre Freundin besichtigen eine Chemiefabrik. Als Grace zur Kaffeemaschine geht, bittet ihre Freundin sie um Zucker in ihren Kaffee. Neben der Kaffeemaschine steht ein Behälter mit einem weissen Pulver. Dabei handelt es sich um Zucker. Aus unerfindlichen Gründen trägt der Behälter die Aufschrift "giftig", so dass Grace glaubt, es handle sich um eine toxische Substanz, die ein Wissenschafter hier liegengelassen habe. Grace gibt die Substanz in den Kaffee. Ihre Freundin trinkt ihn, ohne Schaden zu erleiden. Wie ist Graces Verhalten moralisch zu werten?

Diese und ähnliche Fragen wurde Versuchspersonen gestellt. Sie bewerteten das Verhalten auf einer Skala von 1 (strikt verboten) bis 7 (völlig in Ordnung). Für kreative Lösungen (Einer der Mitarbeiter ist Diabetiker und hat die Zuckerdose mit "giftig" angeschrieben) und klärende Fragen (Ist Grace Analphabetin? Steht da ein offizielles Gefahrensymbol? Ist die Freundin Mitglied bei Dignitas?) blieb kein Raum. Die Forscher interessierte insbesondere, ob die Bewertung eher aufgrund der Absicht (im Beispiel böse) oder aufgrund des Ergebnisses (im Beispiel alles in Ordnung) erfolgte.

In unserem Hirn gibt einen Abschnitt, der besonders dann aktiv wird, wenn wir über die Absichten und Beweggründe einer Person nachdenken. Dieser Teil wurde bei den Versuchspersonen nun kurzzeitig durch ein starkes, fokussiertes Magnetfeld gestört. So etwas kann die Nervenzellen ganz schön durcheinander bringen. Es ist hier anzumerken, dass es sich bei dieser Methode um richtig starke Magnetfelder handelt, ein mickriger Küchenmagnet könnte da nicht mithalten.

Während oder nach dieser Behandlung bewerteten die Versuchspersonen die vorgestellten Situation anders: War die Absicht böse, aber ohne nachteilige Folgen, so hielten sie das Verhalten eher für erlaubt. Und zwar betrug der Unterschied 0.8 Punkte auf der Skala von 1 bis 7. Das mag statistisch signifikant sein, überwältigend ist es jedoch nicht. Die obigen Schlagzeilen wirken in diesem Licht leicht übertrieben, von "ausschalten" oder "lahmlegen" kann nicht die Rede sein. Ausserdem sind zwölf Versuchspersonen doch etwas wenig, um verallgemeinernde Schlüsse ziehen zu können.

Die wirklich wichtige Erkenntnis der Studie scheint mir zu sein, dass die Störung eines kleinen Gehirnareals einen messbaren Einfluss auf eine komplexe Entscheidung zeigte. Aber natürlich haben sich die Medien gleich auf den Begriff Moral gestürzt.

Und die Moral von der Geschicht: Trau derartigen Schlagzeilen nicht.

Quellen (alle in Englisch):

Montag, 19. April 2010

Raus aus dem Wurmloch

"Ein theoretischer Astrophysiker hat vorgeschlagen, dass sich unser gesamtes Universum in einem Wurmloch, das mit einem schwarzen Loch verbunden ist, befindet."
So lautete eine Schlagzeile im Podcast "The Skeptic's Guide to the Universe" vom 7. April. (Ein Podcast, den ich übrigens allen naturwissenschaflich Interessierten empfehlen kann.) Nun ist es ja nur ein Vorschlag, und ein theoretischer Astrophysiker kann wohl eine ganze Menge vorschlagen, aber die Idee ist so abgefahren brillant, dass ich sie hier unbedingt erwähnen musste.

Wer sich durch den Originalartikel quälen will, bitte sehr: "Radial motion into an Einstein-Rosen bridge," Physics Letters B, by Nikodem J. Poplawski. (Volume 687, Issues 2-3, 12 April 2010, Pages 110-113)

Montag, 12. April 2010

Es vibriert, es vibriert nicht...

Schnallen Sie sich gut an. Ich heisse Sie herzlich willkommen auf diesem Flug ins Reich der Quanten. Eine kleine Warnung: Seien Sie darauf gefasst, Ihr Hirn durch labyrinthische Windungen zu quetschen.

Erstmals ist es gelungen, die Gesetze der Quantenmechanik an einem makroskopischen Objekt zu zeigen. Wobei makroskopisch relativ ist: Es handelte sich um ein 0.03 mm langes Metallblatt - immerhin millionenmal grösser als ein Atom. Dennoch hat die Quantenmechanik damit einen Quantensprung hingelegt. Bisher konnten ihre Gesetze nämlich nur an Objekten, die maximal ein paar Atome massen nachgewiesen werden. Unserem Hirn konnte das nur recht sein, es konnte sich nämlich sagen: Ok, in der Welt der Quanten sind ganz verrückte Dinge möglich, aber das ist eben eine andere Welt, die Welt der Winzigkleinen. Nun, diese Ausrede zählt nicht mehr.

Stellen Sie sich vor, eine Schaukel schwinge vor und zurück während sie gleichzeitig stehen bleibt. Das klingt absurd? Und doch ist ein derartiges Verhalten für Quantenobjekte völlig normal. So kann ein Elektron problemlos gleichzeitig durch zwei verschiedene Löcher fliegen. Erst wenn wir es dabei beobachten, zwingen wir es, eines der beiden auszuwählen. (Habe ich nicht gewarnt, das Hirn werde hier ein wenig zerquetscht?) Die Rolle des unbeteiligten Beobachters gibt es in der Quantenmechanik nicht.

Genau das, was wir im Beispiel mit der Schaukel als absurd empfinden, wurde mit dem eingangs erwähnten winzigen Metallblatt erreicht: Es schwang hin und her und blieb gleichzeitig vollkommen ruhig.

Dazu mussten die Forscher erst einige Schwierigkeiten überwinden. Die grösste davon war es, das Metallblatt überhaupt erst mal ruhig zu stellen. (In der Fachsprache würde man sagen: es in seinen energetischen Grundzustand zu versetzen. Das ist der energieärmste Zustand, den ein Objekt erreichen kann.) Das ist gar nicht so einfach und bedingt Temperaturen nahe beim absoluten Nullpunkt von -273.15°C.

Dann verbanden die Forscher das Metallblatt mit einer Anlage, die sie selbst als "Quantentrommel" bezeichnen. Und jetzt kommts: Mit dieser "Quantentrommel" war es möglich, das Metallblatt gleichzeitig anzustossen sowie nicht anzustossen. Danach vibrierte es, und vibrierte nicht - zur gleichen Zeit. Damit ist es gelungen, erstmals ein typisch quantenmechanisches Verhalten an einem Objekt, das von Auge sichtbar ist, nachzuweisen.

Der Autor räumt ein, dass dieses Verhalten nur in dem Moment möglich ist, da das Metallblatt komplett von seiner Umgebung isoliert ist. Es verlässt dadurch quasi unser Universum und bildet seine eigene kleine Welt in einer Blase. Darin kann es sich auf seine eigene Art und Weise verhalten. Sobald aber die Blase platzt und es wieder in unser Universum eintritt, ist es damit vorbei; es muss sich dann sozusagen entscheiden, ob es jetzt vibrieren will oder nicht. Das lässt mein Hirn etwas aufatmen: Quantengesetze gelten eben doch nur in ihrer eigenen Welt.

Quellen (alles in Englisch):

Sonntag, 4. April 2010

Ein "Schöpfer" aus naturwissenschaftlicher Sicht

Der Papst hat ja anscheinend keine Freude gefunden am Film Avatar.
"Der Vatikan warnt, der Streifen könnte einen Trend zu einer 'neuen Religion' setzen: die Anbetung der Schöpfung anstatt des Schöpfers."
So steht es zumindest auf http://www.livenet.ch/www/index.php/D/article/552/50084/. Die Originalquelle im Osservatore Romano ist nicht mehr online einsehbar, da der Vatikan nur die aktuellste Ausgabe ins Netz stellt.

Diese Aussage hat in mir die Frage aufgeworfen, was für einen "Schöpfer" ich denn als Naturwissenschafterin verehren müsste. Zuerst dachte ich an den Zufall oder die zwischenmolekularen Kräfte, doch dann kam mir die Erleuchtung.

Lebewesen sind im Vergleich zu ihrer Umgebung Zustände höherer Ordnung, im Fachjargon würde man von niedrigerer Entropie sprechen. Ordnung schafft aber nur der Einsatz von Energie, so lehrt uns die Thermodynamik und das tägliche Leben. Konsequenterweise werde ich also in Zukunft die Energie anbeten. Da heisst es dann: "Unser tägliches Joule gib uns heute..."

Von der Galaxie zum Quark

Wie gross ist unsere Galaxis? Antwort 1.2 Zettameter. Ähä. Mit dieser Grösse kann unser Hirn etwa ähnlich viel anfangen wie mit der Angabe, dass ein HI-Virus 90 Nanometer misst.

Hilfreicher sind da Vergleiche:
  • Z.B. ist die Milchstrassen-Galaxis hundertmillionenmal grösser als das Sonnensystem, etwa 40-mal kleiner als die grösste bekannte Galaxie und etwas 100-mal grösser als die kleinste.
  • Das HI-Virus passt knapp in eine Bucht in der Spiralspur einer CD.
Mit "The Scale of the Universe" lassen sich solche unverstellbaren Grössen erkunden. Es zeigt Objekte vom ganzen Universum bis zur kleinsten Länge, die physikalisch überhaupt Sinn macht, und birgt so manche Überraschung. Oder hätten Sie gewusst, dass die menschliche Haut fast so dick ist wie eine Kreditkarte?