Dienstag, 8. Juni 2010

Die Rolle des Adenosinrezeptors A1 bei der Schmerzempfindung

Neulich zu lesen:

Wie Akupunktur Schmerz lindert - NZZ 2.6.2010

Von der Alten Tante hätte man einen dermassen schlecht recherchierten Artikel nicht erwartet. Aber ich freue mich natürlich über die Gelegenheit, die NZZ kritisieren zu dürfen.

Kurz gesagt behauptet der Artikel, es sei ein Wirkmechanismus für die Akupunkturbehandlung bei Schmerz entdeckt worden. Das ist in der Tat, was die Autoren der betreffenden Studie uns glauben machen möchten. Diese Studie wird aber in Fachkreisen heftig kritisiert, was der NZZ-Journalistin entgangen zu sein scheint. So behauptet sie:
"Zwar ist die Wirksamkeit, etwa bei der Linderung von Rücken- oder Kniegelenkschmerzen, in klinischen Studien deutlich belegt."
Eine derartige Aussage ohne Quellenangabe finde ich ein kleines bisschen gewagt, denn letztes Jahr kam ein Übersichtsartikel über 13 Studien zu folgendem Schluss:
"Ein geringer schmerzlindernder Effekt von Akupunktur wurde gefunden, der klinischer Relevanz zu entbehren scheint und nicht klar von einem systematischen Fehler unterschieden werden kann. Ob das Einstechen von Nadeln an Akupunkturpunkten oder an irgendeiner Stelle Schmerz unabhängig vom psychologischen Einfluss des Behandlungsrituals mindert, ist nicht klar."
(Madsen et al. 2009, Übersetzung von mir)
Übrigens nutzen Studien zu den Effekten von Akupunktur zur Kontrolle oft einziehbare Tricknadeln, die dem Patienten lediglich das Gefühl geben, gestochen zu werden, ohne aber die Haut zu verletzen. Auf diese Weise kann der Placebo-Effekt abgeschätzt werden.

Doch weiter im NZZ-Text:
"Wie die Forscher zeigten, trat als Folge der Stichverletzung das körpereigene Molekül Adenosin aus den geschädigten Zellen aus und sammelte sich im Gewebe an. Hier konnte es sich über bekannte Rezeptoren an Nervenfasern vor Ort anheften, die daraufhin weniger «Schmerzbotschaften» an das Gehirn sendeten."
Ich bin keine Ärztin, aber ich vergleiche das mal mit folgender Aussage in Wikipedia:
"Die Entstehung des Schmerzes läuft dabei folgendermaßen ab:
  1. Zunächst bewirkt die Verletzung des Gewebes eine Freisetzung von ATP, Protonen, Sauerstoff-Radikalen, Kalium-Ionen und Arachidonsäure."
Der Punkt, dem meine Aufmerksamkeit gilt, ist die Abkürzung ATP. Sie steht für Adenosintriphosphat. Das ist Adenosin mit dreimal Phosphat drangehängt. Nimmt man alles Phosphat weg (und der Säugetiermetabolismus kann das), hat man Adenosin. Deshalb wurde nämlich in der Studie nicht nur Adenosin, sondern auch Adenosinmono-, -di- und -triphosphat gemessen.

Es ist demnach erstens falsch zu sagen, dass Adenosin aus den Zellen austritt, denn tatsächlich ist es Adenosintriphosphat (ATP), was aus der Zelle kommt. Erst anschliessend wird es zu Adenosin abgebaut. Aber ich nehme an, die Journalistin wollte den Lesern bloss einen weiteren komplizierten Namen ersparen.

Zweitens führt offenbar jegliche Gewebeverletzung zu einer ATP-Freisetzung und dürfte somit denselben Effekt habe.

Die NZZ schreibt weiter:
"Fügten die Forscher den Mäusen eine schmerzhafte Entzündung an einer Pfote zu und stachen dann eine Nadel in einen Akupunkturpunkt unterhalb des Knies der gleichen Pfote, waren die Tiere deutlich weniger berührungsempfindlich als ohne Behandlung. Die halbstündige Prozedur war allerdings nur erfolgreich, wenn die Nadel – wie bei einer klassischen Therapie durchaus üblich – alle fünf Minuten rotierend bewegt wurde. Keinen Erfolg brachte sie, wenn die Nadel am unversehrten Bein gesetzt wurde oder bei Mäusen, die wegen eines gentechnischen Eingriffs keine Adenosin-Rezeptoren besitzen."
Hier nähern wir uns dem Kern der Studie. Sie hat tatsächlich nachgewiesen, dass der Adenosinrezeptor A1 verantwortlich ist für ein vermindertes Schmerzempfinden. Das ist eigentlich sehr spannend, denn es eröffnet möglicherweise neue Wege für schmerzstillende Medikamente. Mit Akupunktur hat es aber herzlich wenig zu tun. Anstelle die Mäuse zu stechen, hätte man sie wohl auch schneiden, pieksen oder sonstwie quälen können. Ach ja, der Effekt ist nur beim zusätzlichen Rotieren der Nadeln aufgetreten. Ich spekuliere hier mal wild: Könnte der erneute Schmerz beim Rotieren zu zusätzlicher ATP-Freisetzung geführt haben? Im Stile von "das Messer in der Wunde umdrehen"...

Immerhin ist die NZZ nicht allein mit ihrer katastrophalen Berichterstattung. Zahlreiche renommierte englischsprachige Zeitungen haben ähnlich schlecht recherchiert. Ganz abgesehen von dem Skandal, dass der Originalartikel in dieser Form in einer angesehen Fachzeitschrift erscheinen konnte.

Quellen:

Freitag, 4. Juni 2010

"Der Koch" von Martin Suter - Teil 2

Im Buch "Der Koch" von Martin Suter stecken jede Menge spannender Chemiethemen. Es folgt der zweite Teil einer Serie zu den naturwissenschaftlichen Hintergründen.

Rotationsverdampfer

Ein Rotationsverdampfer ist eigentlich nichts anderes als eine ausgefeilte Destillationsapparatur. Er dient dazu, Flüssigkeiten mit unterschiedlichen Siedepunkten voneinander zu trennen. Das Besondere daran ist, dass der Behälter mit der zu destillierenden Flüssigkeit schräg in einem Heizbad liegt und langsam rotiert. Durch die Rotation wird an seiner Innenfläche ein feiner Flüssigkeitsfilm hochgezogen. Verdampft wird nun vorwiegend aus diesem Film und nicht aus dem Gros der Flüssigkeit. Während der Film an der heissen Gefässwand nämlich schnell erwärmt wird, bleibt der Rest der Flüssigkeit relativ kühl, weil sie bei langsamer Rotation nicht sonderlich gut durchmischt wird. Der aufgestiegene Dampf wird gekühlt, kondensiert wieder und tropft in einen Auffangkolben. Man kann sagen, dass der Rotationsverdampfer schonender destilliert, weil die Flüssigkeit weniger stark erwärmt werden muss. Ausserdem gibt es keine Probleme mit Siedeverzügen. Im Chemielabor wird der Rotationsverdampfer übrigens zusammen mit einer Vakuumpumpe verwendet, um durch tieferen Druck die Siedepunkte zu senken.

Maravans Essenz entsteht folgendermassen: Durch das Rotationsverdampfen werden leichtflüchtige Duftstoffe und Wasser vom Öl und anderen Substanzen mit hohem Siedepunkt getrennt. Dann lässt Maravan vom Destillat in einem Scheidetrichter das Wasser ablaufen. Übrig bleiben nur Substanzen, die sich nicht gut in Wasser lösen, was bei vielen Duftstoffen der Fall ist. Diese Stoffe mischt er nun wieder mit dem Öl. Im wesentlichen entfernt er also einfach das Wasser.

Im Roman wird ein Rotationsverdampfer aus einem Chemielabor zum Herstellen von Speisen verwendet. Uiuiui, ich will gar nicht wissen, wieviele Vorschriften dabei verletzt werden. Bitte nicht nachahmen!

Dienstag, 1. Juni 2010

"Der Koch" von Martin Suter - Teil 1

Im Buch "Der Koch" von Martin Suter stecken jede Menge spannender Chemiethemen. Es folgt der erste Teil einer Serie zu den naturwissenschaftlichen Hintergründen.

Aphrodisiaka

Bei der überraschenden Wirkung von Maravans Kreationen stellt sich natürlich die Frage, wieviel da wirklich dahintersteckt. Ich habe nur zu einer Zutat entsprechende Studien gefunden, es ist dies - der Safran.

Eine iranische Forschungsgruppe hat verschiedene Inhaltsstoffe von Safran an Ratten getestet. Der Stoff Crocin führte dazu, dass sich die Ratten häufiger paarten. Und so ist ein Crocin-Molekül aufgebaut:

Crocin. Für die gelbe Farbe sind übrigens die vielen konjugierten Doppelbindungen (d.h. abwechselnd Doppel- und Einfachbindung) in der Mitte des Moleküls verantwortlich. Bild aus Wikipedia.

Dieselbe Gruppe hat Männern mit erektiler Dysfunktion Safran verabreicht. Nach zehn Tagen täglicher Einnahme von 200 mg Safran zeigte sich eine deutlich positive Wirkung. Wobei das eine Pilotstudie ohne Kontrollgruppe war. Von wegen Placeboeffekt und so... Eindeutig nachgewiesen ist der Effekt damit also nicht. Ein Mengenvergleich: Maravans Menu enthält 3.5 g Safran pro Person - was übrigens ganz schön ins Geld geht, 1g Safran kostet bei Coop SFr. 8.60.

Die Wirkung auf (menschliche) Frauen haben sie nicht untersucht. Wollen wir ihnen einen Brief schreiben? Allerdings könnte das im Iran ja womöglich ein Politikum darstellen...

Aber wäre es denn überhaupt wünschenswert, ein solches Superaphrodisiakum wie Maravans Menu zur Verfügung zu haben? Rein biologisch betrachtet natürlich ;-) Höchstwahrscheinlich würde es nämlich auch im Belohnungszentrums unseres Gehirns eingreifen. Und da besteht dann grösste Suchtgefahr.

Quellen:
  • Hosseinzadeh, H. et al. The effect of saffron, Crocus sativus stigma, extract and its constituents, safranal and crocin on sexual behaviors in normal male rats. Phytomedicine 2008 Jun;15(6-7):491-5. - abstract
  • Shamsa, A. et al. Evaluation of Crocus sativus L. (saffron) on male erectile dysfunction: a pilot study. Phytomedicine 2009 Aug;16(8):690-3. - abstract
  • Und hier noch ein interessanter Artikel von Christiane Löll in der Zeit: Die Lust im Kopf.