Donnerstag, 22. Juli 2010

HeLa - die unsterblichen Zellen: eine Buchbesprechung

An ihnen wurde der Polio-Impfstoff getestet. Sie wurden ins All geschickt, um die Auswirkungen von Schwerelosigkeit und Strahlung zu studieren. Und an ihnen wurde erforscht, weshalb Krebszellen nicht sterben wie andere Zellen. Ihr Name ist HeLa.

Im Jahre 1951 versuchten Wissenschafter seit bald einem halben Jahrhundert, menschliche Zellen zu Forschungszwecken zu kultivieren. Erfolglos - früher oder später starben die Zellen immer. In diesem Jahre ging die schwarze US-Amerikanerin Henrietta Lacks ins Johns Hopkins Spital von Baltimore, Maryland wegen Schmerzen im Unterbauch. Sie hatte Gebärmutterhalskrebs. Bei der Untersuchung entnahm der Arzt auch eine Gewebeprobe aus dem Tumor und gab einen Teil an das Labor von Dr. George Grey weiter. Diese Krebszellen starben nicht, sie vermehrten sich rasant. Forscher weltweit waren begeistert von HeLa, die Zellen gingen von Hand zu Hand. Henrietta Lacks hatte von all dem keine Ahnung; medizinische Studien an Patienten der öffentlichen Abteilung waren damals Standard (schliesslich bezahlten sie ja nichts für die Behandlung), und niemand hielt es für nötig, die Patienten darüber zu informieren.

Es dauerte über 20 Jahre bis die Angehörigen von Henrietta Lacks etwas vom Erfolg der HeLa-Zellen erfuhren. Die Zellen waren nämlich mittlerweile zum Problem geworden: Sie wuchsen dermassen rasant, dass andere Zellen neben ihnen keine Chance mehr hatten. So kontaminierten sie Labors in der ganzen Welt bis hinter den Eisernen Vorhang. (Für Henrietta Lacks' Tochter Deborah ist das die Rache ihrer Mutter an den Forschern dafür, dass sie die Familie im Dunkeln liessen.) Um eindeutig feststellen zu können, ob es sich bei einer Zellkultur um HeLa-Zellen handelt oder nicht, benötigte die Forschung DNA der Angehörigen von Henrietta Lacks. So suchte eine Assistentin die Familie auf, um Blutproben zu nehmen. Mit der Kommunikation haperte es allerdings, und dass sie Chinesin war dürfte auch nicht geholfen haben. Jedenfalls waren die Familienmitglieder der Ansicht, sie würden auf Krebs getestet. Als sie am nächsten Tag im Spital anriefen, um sich nach den Resultaten zu erkundigen, hatte dort niemand von etwas eine Ahnung...

In den Worten von Zakariya, Henrietta Lacks' jüngstem Sohn (ich versuche mich gar nicht erst an einer Übersetzung, nie könnte ich dem schwarzen Südstaaten-Dialekt gerecht werden):
"They lied to us for twenty-five years, kept them cells from us, then they gonna say them things donated by our mother. Them cells was stolen!"
In der Folge drängten sich Forscher, Journalisten und zwielichtige Anwälte um die Angehörigen von Henrietta Lacks. Alles wollten sie etwas von ihnen, aber niemand war bereit, ihre vielen Fragen zu beantworten. Es brauchte nochmals über 20 Jahre, bis eine Reporterin den Kontakt zu Deborah, der Tochter von Henrietta Lacks, fand und gemeinsam mit ihr die Familiengeschichte und die Geschichte der HeLa-Zellen recherchierte.

Daraus ist das Buch "The Immortal Life of Henrietta Lacks" entstanden. Es ist eine Geschichte von Tabakpflanzungen und Krebsforschung, von Rassentrennung und Wissenschaftsethik, geschrieben mit viel Sachkenntnis und Einfühlungsvermögen. Als ich las, wie Deborah das erste Mal die Zellen ihrer Mutter unter dem Mikroskop sieht, kamen mir die Tränen.

Das Buch erscheint am 20. September in deutscher Übersetzung unter dem Titel "Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks". Das englische Original ist nur bei guten Englischkenntnissen zu empfehlen, da die direkte Rede im Dialekt der Sprecher geschrieben ist - im Fall der Familienangehörigen Afroamerikanisches Englisch (so lautet anscheinend der offizielle Begriff). Diese Sprache kann auf uns wegen der fehlenden Konjugation ungebildet wirken, hat aber ein komplexes Zeitensystem mit vier Vergangenheits- und drei Zukunftsformen. (Falls jemand die deutsche Ausgabe liest: Es würde mich interessieren, wie die Übersetzer diese Sprache wiedergeben.) Naturwissenschaftliche Kenntnisse braucht es für die Lektüre hingegen nicht. Zur Zeit sind die Bücher günstig bei Storyworld erhältlich.

Quelle:
Rebecca Skloot. The Immortal Life of Henrietta Lacks. Crown Publishings 2010.

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