Montag, 26. April 2010

Erfahrungen mit gentechnisch veränderten Feldfrüchten in den USA

Gentechnisch veränderte Organismen (GVO) sind in den USA auf dem Vormarsch. 2009 waren 80% der angebauten Sojabohnen, Mais und Baumwolle gentechnisch verändert. Jetzt ist eine Studie erschienen, die ihre ökonomischen und ökologischen Auswirkungen auf Bauernhofebene untersuchte.

In den USA werden Sojabohnen, Mais, Baumwolle, Raps und Zuckerrüben, die gegen den Wirkstoff Glyphosphat in Herbiziden resistent sind, angebaut. Mais und Baumwolle können zudem selbst ein Insektizid gegen ausgewählte Schädlingsarten produzieren. Die Gene dafür stammen vom Bakterium Bacillus thuringiensis, das schon lange zur Insektenbekämpfung eingesetzt wird.

Die wichtigsten Resultate


Ökologie

  1. Der Herbizidverbrauch wurde gesenkt, oder es wurden weniger ökotoxische Herbizide eingesetzt.
  2. Der Anbau von herbizidresistenten Pflanzen geht mit bodenschonenderen Pflugmethoden einher. Dadurch nimmt die Erosion ab und die Bodenqualität verbessert sich.
  3. Die beiden erstgenannten Punkte dürften zu einer besseren Wasserqualität führen. Es existieren aber nicht genügend Messdaten, um diese Vermutung nachzuweisen.
  4. Unkräuter konnten Resistenzen gegen Glyphosphat entwickeln, wenn dies das einzige eingesetzte Herbizid war und keine weiteren Massnahmen zur Unkrautbekämpfung getroffen wurden.
  5. Die Entwicklung von Resistenzen bei Insekten wurde durch flankierende Massnahmen erfolgreich eingedämmt. In 14 Jahren sind nur 2 Fälle aufgetaucht.

Ökonomie und Soziologie

  1. Im Allgemeinen war der Anbau von GVOs für die Bauern von Vorteil, hauptsächlich dank eines verminderten Ertragausfalls und geringeren Zeitaufwands.
  2. Die Auswirkungen auf Bauern, die keine GVOs anbauen, sind gemischt. Herbizid- und Insektizidpreise ändern sich aufgrund veränderter Nachfrage. Es besteht die Möglichkeit, einen höheren Preis für nicht gentechnisch veränderte Produkte zu erzielen. Andererseits gibt es keine Möglichkeit, die Verunreinigung durch benachbarte Felder auszuschliessen.
  3. Die Integration der Samenproduktion in die chemische Industrie hat bisher nicht zu ökonomischen Nachteilen für die Bauern geführt.

Fünf Caveats der Autoren

  1. Die zunehmende Kontrolle privater Firmen über die Gensubstanz von Feldfrüchten könnte auf lange Sicht zu zunehmenden Saatgutpreisen führen.
  2. Wir wissen immer noch zu wenig darüber, wie sich der Einsatz von GVOs auf die Umwelt insgesamt auswirkt.
  3. Die Forschung konzentriert sich zur Zeit auf die Einführung von Resistenzen bei den häufigsten Feldfrüchten. Früchte und Gemüse werden kaum erforscht, ebensowenig weitere mögliche gentechnische Veränderungen, z.B. eine verbesserte Nährstoffnutzung oder Toleranz gegen Trockenheit.
  4. Soll in nicht-GVO-Produkten ein gewisser Anteil von GVOs erlaubt sein? Es ist sowohl bei der Produktion als auch beim Vertrieb enorm aufwendig, eine Kontamination zu verhindern.
  5. Andere Länder (sprich: das böse, böse Europa) können den Import von GVOs einschränken und dadurch den Markt verkleinern.
So, da hätten wir wieder etwas Futter für die Gentechdebatte. Überraschende Erkenntnisse sind vielleicht nicht dabei, aber doch der eine oder andere interessante Punkt. Es sind also durchaus ökologische Vorteile zu verzeichnen, aber die Entwicklung von Resistenzen sollte überwacht und durch entsprechende Massnahmen kontrolliert werden.


Quelle:
Committee on the Impact of Biotechnology on Farm-Level Economics and Sustainability: Impact of Genetically Engineered Crops on Farm Sustainability in the United States. The National Academies Press 2010.Die gesamte Studie kann online eingesehen werden: http://www.nap.edu/openbook.php?record_id=12804&page=1

Donnerstag, 22. April 2010

Das erste mehrzellige Tier, das ohne Sauerstoff auskommt

Bis vor kurzem kannte man keine vielzelligen Tiere, die nicht auf Sauerstoff angewiesen sind. Obwohl theoretisch denkbar, hatte man solche nie gefunden. Bis vor kurzem. Aber jetzt haben Biologen eines entdeckt. Was ist das für ein Tierchen, und wo und wovon lebt es?

Es handelt sich um eine neue Tierart des Stammes der Korsetttierchen. Diese sind kleiner als ein Millimeter, haben einen stachelbewehrten Kopf und einen Rumpf mit plattenbesetztem Panzer. Es scheinen also recht standhafte Tierchen zu sein. Sie leben im Meeresboden, wo sie sich an Sandkörner heften.

 Eines der anaeroben Korsetttierchen. Die Färbung ist künstlich.
Grösse des Tierchens ca. 0.2 mm.

Die neue Art wurde im Mittelmeer entdeckt, und zwar im Bassin L'Atalante, einem hypersalinen, anoxischen Tiefseebecken. Die Lebensbedingungen dort sind harsch: hoher Druck, hoher Salzgehalt, toxischer Schwefelwasserstoff und kein Sauerstoff.

Diesem Korsetttierchen fehlt ein wesentlicher Zellbestandteil, in welchem bei Tieren Sauerstoff verarbeitet und Energie gewonnen wird: die Mitochondrien. Stattdessen wurden in ihm Organellen entdeckt, die bisher noch nie in einem mehrzelligen Tier gefunden wurden. Diese heissen Hydrogenosomen und dienen demselben Zweck wie die Mitochondrien, nur dass sie nicht Sauerstoff (O2) verarbeiten. Anstelle dessen nehmen sie Molekülen, die H-Atome enthalten, die H-Atome weg und bilden daraus Wasserstoff (H2). Für alle, die etwas chemische Kenntnisse haben: Es handelt sich dabei um eine Reduktion, also eine Elektronenaufnahme. Die zugehörige Oxidation ist der Abbau von Traubenzucker (Glucose) zu CO2.

Hier finden wir auch einen möglichen Grund, warum die Tierchen hohen Schwefelwasserstoffkonzentrationen standhalten. Schwefelwasserstoff verhindert nämlich die Sauerstoffverarbeitung in den Mitochondrien, deshalb ist er für uns giftig. Ausserdem behindert er auch den Sauerstofftransport durch das Blut. Aber wenn man keine Mitochondrien hat, ist das natürlich kein Problem.

Das grosse Rätsel ist jetzt die Evolution dieses Tieres. Wie kam es dazu, dieses unwirtliche Habitat zu besiedeln? Und wie erreichte es die Anpassung, d.h. wie entwickelten sich die Hydrogenosomen? So sind die unscheinbaren Korsetttierchen plötzlich enorm spannend geworden.

Quellen:
Danovaro, R. et al. BMC Biology 2010, 8:30 doi:10.1186/1741-7007-8-30

Die Medien und die Moral

Magnet knipst Moral aus - www.wissenschaft.de
Forscher legen die Moral lahm - science.orf.at 
Magnet kann Moral ausschalten - www.bild.de


Derartige Schlagzeilen waren in letzter Zeit vielerorts zu lesen. Worum geht es?

Szenario: Grace und ihre Freundin besichtigen eine Chemiefabrik. Als Grace zur Kaffeemaschine geht, bittet ihre Freundin sie um Zucker in ihren Kaffee. Neben der Kaffeemaschine steht ein Behälter mit einem weissen Pulver. Dabei handelt es sich um Zucker. Aus unerfindlichen Gründen trägt der Behälter die Aufschrift "giftig", so dass Grace glaubt, es handle sich um eine toxische Substanz, die ein Wissenschafter hier liegengelassen habe. Grace gibt die Substanz in den Kaffee. Ihre Freundin trinkt ihn, ohne Schaden zu erleiden. Wie ist Graces Verhalten moralisch zu werten?

Diese und ähnliche Fragen wurde Versuchspersonen gestellt. Sie bewerteten das Verhalten auf einer Skala von 1 (strikt verboten) bis 7 (völlig in Ordnung). Für kreative Lösungen (Einer der Mitarbeiter ist Diabetiker und hat die Zuckerdose mit "giftig" angeschrieben) und klärende Fragen (Ist Grace Analphabetin? Steht da ein offizielles Gefahrensymbol? Ist die Freundin Mitglied bei Dignitas?) blieb kein Raum. Die Forscher interessierte insbesondere, ob die Bewertung eher aufgrund der Absicht (im Beispiel böse) oder aufgrund des Ergebnisses (im Beispiel alles in Ordnung) erfolgte.

In unserem Hirn gibt einen Abschnitt, der besonders dann aktiv wird, wenn wir über die Absichten und Beweggründe einer Person nachdenken. Dieser Teil wurde bei den Versuchspersonen nun kurzzeitig durch ein starkes, fokussiertes Magnetfeld gestört. So etwas kann die Nervenzellen ganz schön durcheinander bringen. Es ist hier anzumerken, dass es sich bei dieser Methode um richtig starke Magnetfelder handelt, ein mickriger Küchenmagnet könnte da nicht mithalten.

Während oder nach dieser Behandlung bewerteten die Versuchspersonen die vorgestellten Situation anders: War die Absicht böse, aber ohne nachteilige Folgen, so hielten sie das Verhalten eher für erlaubt. Und zwar betrug der Unterschied 0.8 Punkte auf der Skala von 1 bis 7. Das mag statistisch signifikant sein, überwältigend ist es jedoch nicht. Die obigen Schlagzeilen wirken in diesem Licht leicht übertrieben, von "ausschalten" oder "lahmlegen" kann nicht die Rede sein. Ausserdem sind zwölf Versuchspersonen doch etwas wenig, um verallgemeinernde Schlüsse ziehen zu können.

Die wirklich wichtige Erkenntnis der Studie scheint mir zu sein, dass die Störung eines kleinen Gehirnareals einen messbaren Einfluss auf eine komplexe Entscheidung zeigte. Aber natürlich haben sich die Medien gleich auf den Begriff Moral gestürzt.

Und die Moral von der Geschicht: Trau derartigen Schlagzeilen nicht.

Quellen (alle in Englisch):

Montag, 19. April 2010

Raus aus dem Wurmloch

"Ein theoretischer Astrophysiker hat vorgeschlagen, dass sich unser gesamtes Universum in einem Wurmloch, das mit einem schwarzen Loch verbunden ist, befindet."
So lautete eine Schlagzeile im Podcast "The Skeptic's Guide to the Universe" vom 7. April. (Ein Podcast, den ich übrigens allen naturwissenschaflich Interessierten empfehlen kann.) Nun ist es ja nur ein Vorschlag, und ein theoretischer Astrophysiker kann wohl eine ganze Menge vorschlagen, aber die Idee ist so abgefahren brillant, dass ich sie hier unbedingt erwähnen musste.

Wer sich durch den Originalartikel quälen will, bitte sehr: "Radial motion into an Einstein-Rosen bridge," Physics Letters B, by Nikodem J. Poplawski. (Volume 687, Issues 2-3, 12 April 2010, Pages 110-113)

Montag, 12. April 2010

Es vibriert, es vibriert nicht...

Schnallen Sie sich gut an. Ich heisse Sie herzlich willkommen auf diesem Flug ins Reich der Quanten. Eine kleine Warnung: Seien Sie darauf gefasst, Ihr Hirn durch labyrinthische Windungen zu quetschen.

Erstmals ist es gelungen, die Gesetze der Quantenmechanik an einem makroskopischen Objekt zu zeigen. Wobei makroskopisch relativ ist: Es handelte sich um ein 0.03 mm langes Metallblatt - immerhin millionenmal grösser als ein Atom. Dennoch hat die Quantenmechanik damit einen Quantensprung hingelegt. Bisher konnten ihre Gesetze nämlich nur an Objekten, die maximal ein paar Atome massen nachgewiesen werden. Unserem Hirn konnte das nur recht sein, es konnte sich nämlich sagen: Ok, in der Welt der Quanten sind ganz verrückte Dinge möglich, aber das ist eben eine andere Welt, die Welt der Winzigkleinen. Nun, diese Ausrede zählt nicht mehr.

Stellen Sie sich vor, eine Schaukel schwinge vor und zurück während sie gleichzeitig stehen bleibt. Das klingt absurd? Und doch ist ein derartiges Verhalten für Quantenobjekte völlig normal. So kann ein Elektron problemlos gleichzeitig durch zwei verschiedene Löcher fliegen. Erst wenn wir es dabei beobachten, zwingen wir es, eines der beiden auszuwählen. (Habe ich nicht gewarnt, das Hirn werde hier ein wenig zerquetscht?) Die Rolle des unbeteiligten Beobachters gibt es in der Quantenmechanik nicht.

Genau das, was wir im Beispiel mit der Schaukel als absurd empfinden, wurde mit dem eingangs erwähnten winzigen Metallblatt erreicht: Es schwang hin und her und blieb gleichzeitig vollkommen ruhig.

Dazu mussten die Forscher erst einige Schwierigkeiten überwinden. Die grösste davon war es, das Metallblatt überhaupt erst mal ruhig zu stellen. (In der Fachsprache würde man sagen: es in seinen energetischen Grundzustand zu versetzen. Das ist der energieärmste Zustand, den ein Objekt erreichen kann.) Das ist gar nicht so einfach und bedingt Temperaturen nahe beim absoluten Nullpunkt von -273.15°C.

Dann verbanden die Forscher das Metallblatt mit einer Anlage, die sie selbst als "Quantentrommel" bezeichnen. Und jetzt kommts: Mit dieser "Quantentrommel" war es möglich, das Metallblatt gleichzeitig anzustossen sowie nicht anzustossen. Danach vibrierte es, und vibrierte nicht - zur gleichen Zeit. Damit ist es gelungen, erstmals ein typisch quantenmechanisches Verhalten an einem Objekt, das von Auge sichtbar ist, nachzuweisen.

Der Autor räumt ein, dass dieses Verhalten nur in dem Moment möglich ist, da das Metallblatt komplett von seiner Umgebung isoliert ist. Es verlässt dadurch quasi unser Universum und bildet seine eigene kleine Welt in einer Blase. Darin kann es sich auf seine eigene Art und Weise verhalten. Sobald aber die Blase platzt und es wieder in unser Universum eintritt, ist es damit vorbei; es muss sich dann sozusagen entscheiden, ob es jetzt vibrieren will oder nicht. Das lässt mein Hirn etwas aufatmen: Quantengesetze gelten eben doch nur in ihrer eigenen Welt.

Quellen (alles in Englisch):

Sonntag, 4. April 2010

Ein "Schöpfer" aus naturwissenschaftlicher Sicht

Der Papst hat ja anscheinend keine Freude gefunden am Film Avatar.
"Der Vatikan warnt, der Streifen könnte einen Trend zu einer 'neuen Religion' setzen: die Anbetung der Schöpfung anstatt des Schöpfers."
So steht es zumindest auf http://www.livenet.ch/www/index.php/D/article/552/50084/. Die Originalquelle im Osservatore Romano ist nicht mehr online einsehbar, da der Vatikan nur die aktuellste Ausgabe ins Netz stellt.

Diese Aussage hat in mir die Frage aufgeworfen, was für einen "Schöpfer" ich denn als Naturwissenschafterin verehren müsste. Zuerst dachte ich an den Zufall oder die zwischenmolekularen Kräfte, doch dann kam mir die Erleuchtung.

Lebewesen sind im Vergleich zu ihrer Umgebung Zustände höherer Ordnung, im Fachjargon würde man von niedrigerer Entropie sprechen. Ordnung schafft aber nur der Einsatz von Energie, so lehrt uns die Thermodynamik und das tägliche Leben. Konsequenterweise werde ich also in Zukunft die Energie anbeten. Da heisst es dann: "Unser tägliches Joule gib uns heute..."

Von der Galaxie zum Quark

Wie gross ist unsere Galaxis? Antwort 1.2 Zettameter. Ähä. Mit dieser Grösse kann unser Hirn etwa ähnlich viel anfangen wie mit der Angabe, dass ein HI-Virus 90 Nanometer misst.

Hilfreicher sind da Vergleiche:
  • Z.B. ist die Milchstrassen-Galaxis hundertmillionenmal grösser als das Sonnensystem, etwa 40-mal kleiner als die grösste bekannte Galaxie und etwas 100-mal grösser als die kleinste.
  • Das HI-Virus passt knapp in eine Bucht in der Spiralspur einer CD.
Mit "The Scale of the Universe" lassen sich solche unverstellbaren Grössen erkunden. Es zeigt Objekte vom ganzen Universum bis zur kleinsten Länge, die physikalisch überhaupt Sinn macht, und birgt so manche Überraschung. Oder hätten Sie gewusst, dass die menschliche Haut fast so dick ist wie eine Kreditkarte?