Freitag, 7. Mai 2010

Öl im Golf von Mexiko - sind die eingesetzten Dispergiermittel ein Problem?

Photograph by William Colgin

Der Kampf gegen das Öl vor New Orleans dauert an. Eine Massnahme ist dabei der Einsatz von Dispergiermitteln, die es ermöglichen, dass sich das Öl mit dem Meerwasser vermischt und nicht als Teppich obenauf liegt. Da stellt sich die Frage, ob der Einsatz grosser Mengen nicht selbst ein ökologisches Problem darstellen könnte. Bis heute wurden 267'195 Gallonen eingesetzt, das ist rund eine Million Liter. Deshalb habe ich die Sicherheitsdatenblätter studiert, die freundlicherweise auf dem Internet zur Verfügung gestellt werden: http://www.deepwaterhorizonresponse.com/go/doctype/2931/53023/

Es werden offenbar zwei verschiedene Mittel eingesetzt: COREXIT® 9500 und COREXIT® 9527 der Firma Nalco. Das Risiko für Mensch und Umwelt wird auf den Sicherheitsdatenblättern für beide Produkte als gering eingeschätzt. Doch schauen wir uns die Inhaltsstoffe genauer an.

1,2-Propandiol

  • Völlig harmlos, wenn man nicht gerade eine volle Ladung in die Augen kriegt.
  • Auch langfristig sollte es kein Problem darstellen, da es sowohl in unserem Verdauungssystem als auch in der Umwelt wunderbar abgebaut wird.
  • Eingestuft als schwach wassergefährdend1.

Destillate (Erdöl), hydriert, leicht

  • Nur in Corexit9500 vorhanden.
  • Völlig irrelevant angesichts der Riesenmenge an Erdöl, die sowieso schon vorhanden ist - es handelt sich nämlich einfach um bestimmte Komponenten von Erdöl.

Ethylenglykolmonobutylether

Jetzt wirds langsam spannend...
  • Nur in Corexit9527 vorhanden.
  • Gesundheitsschädlich: reizt Augen und Atemwege, führt zu Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen... die üblichen Vergiftungssymptome eben.
  • In hohen oder wiederholten Dosen kann es die roten Blutkörperchen zerstören sowie Leber und Niere schädigen.
  • Kein bekanntes Krebserreger. Das heisst erstmal einfach, dass es dazu keinerlei Studien gibt. Es wurde aber zumindest nachgewiesen, dass der Stoff das Erbgut nicht schädigt.
  • Biologisch abbaubar.
  • Eingestuft als schwach wassergefährdend.1

Organische Sulfonate - das grosse Fragezeichen

Die Bezeichnung "organische Sulfonate" ist mässig aussagekräftig. Der Name Sulfonat beschreibt nämlich nur das eine Ende seiner Bauteilchen. Über das andere Ende wissen wir so ziemlich gar nichts, das ist Betriebsgeheimnis. Was auch seine Berechtigung hat, schliesslich hat die Firma viel in die Entwicklung investiert. Aber es erschwert eine ökologische Bewertung durch Aussenstehende ungemein. Alles, was ich tun kann, ist das Zeug kaufen und meine Fische damit füttern, wenn ich denn welche hätte. Daher kann ich hier nur sagen:
  • Im Sicherheitsdatenblatt sind keine gesundheitsschädlichen Wirkungen aufgeführt.
  • Gemäss Sicherheitsdatenblatt ist das Risiko für die Umwelt gering.
Hier ein paar Beispiele, wie unterschiedlich Sulfonate sein können:
Wer Spass daran hat, kann jetzt herausdüfteln, was alle Sulfonate gemeinsam haben.

Ökologische Risiken

Der Einsatz von Dispergiermitteln kann vor allem in flachem Wasser problematisch sein. Das Öl bleibt dann nicht an der Oberfläche, sondern gelangt bis auf den Meeresgrund und erreicht so die dort lebenden Organismen. Erdöl kann vielerlei giftige Substanzen enthalten. Vielen Tierarten dient der Meeresboden zur Fortpflanzen, und Jungtiere sind besonders empfindlich. Ebenso stellen Korallenriffe hochempfindliche Ökosysteme dar. Da das Meer im Bereich des Mississippi-Flussdeltas recht flach ist, sollte darauf geachtet werden, die Dispergiermittel nur mit genügend Abstand zum Flachwasser auszubringen.

Ist die grosse Menge ein Problem?

Abschnitt geändert am 9.5., nachdem ich neue Daten zu dieser Frage gefunden habe.

Um diese Frage zu beantworten, vergleiche ich die erwarteten Dispergiermittel-Konzentrationen im Meerwasser mit verfügbaren Toxizitätsdaten.

Die Dispergiermittel-Konzentration abzuschätzen, ist gar nicht so einfach. Die eingesetzte Menge hängt nämlich von der (geschätzten) Dicke der Ölschicht ab. Ich beschränke mich hier auf den Fall einer sehr dicken Schicht, denn dort sind die höchsten Konzentrationen zu erwarten. Ein dicker Ölteppich enthält über 200 m3 Öl pro km2. Das Dispergiermittel wird in einem Volumenverhältnis von 1:20 eingesetzt, d.h. bei einem dicken Ölteppich mindestens 10 m3/km2. Man nimmt an, dass sich das Dispergiermittel gleich zu Beginn in die obersten 30 Fuss, also etwa 9 Meter einmischt. D.h. kurz nach dem Ausbringen würde ein m3 Meerwasser 1.1·10-6 m3 Dispergiermittel enthalten.

Toxizitätsdaten werden aber immer in Masseneinheiten angegeben. Wir müssen also mit Hilfe der Dichte umrechnen. Diese beträgt 7.91 lb/gal für Corexit9500 und 8.2-8.5 lb/gal für Corexit9527. (An dieser Stelle die höfliche Anregung an die USA, doch endlich auf das so viel praktischere Metrische System umzustellen.) Wenn ich richtig gerechnet habe, liegt die Dichte also bei etwa 950 bzw. 1'000 kg/m3. Aber es ist schon spät, ich wäre froh, wenns jemand nachrechnen könnte. Corexit9500 wird sich durch die geringere Dichte vermutlich weniger schnell mit dem Meerwasser vermischen als Corexit9527 und eher obenauf schwimmen, wie auch in den Sicherheitsdatenblättern beschrieben. (Das scheint übrigens bei der Abschätzung der Einmischtiefe nicht berücksichtigt worden zu sein.) Nehmen wir 1'000 kg/m3, das macht die Rechnung einfacher und ist für diese Abschätzung genau genug. Ich komme damit auf eine Dispergiermittel-Konzentration von rund 0.001 kg/m3 oder 1 ppm (bei einer Dichte des Meerwassers von ca. 1 kg/L).2

Vergleichen wir diese Zahl nun mit Toxizitätsdaten.

TierartCorexit9527Corexit9500
Garnele49.4 ppm83.1 ppm
Barsch (Larve)14.3 ppm19.8 ppm
Konzentrationen, bei denen nach 96 Stunden 50% der Tiere gestorben waren. Gulec und Douglas 2000.

Ein Übersichtsartikel gibt als tiefsten Wert 1.6 ppm für Mollusken und Corexit9527 an (George-Ares und Clark).

Die erwarteten Konzentrationen sind im Extremfall also fast so hoch wie der tiefste Toxizitätswert. Das ist kritisch, denn auch bei tieferen Konzentrationen gibt es noch Tiere, die daran sterben oder mindestens beeinträchtigt sind. Wenigstens stellt die berechnete Konzentration einen Extremfall dar, der wohl nur für einige Stunden erreicht wird, da die weitere Durchmischung im Meer zu einer Verdünnung führt.

Nun will ich noch versuchen, abzuschätzen, in welchen Mengen die Dispergiermittel tatsächlich eingesetzt werden. Bis zum 7.5. wurden 267'195 Gallonen, bis zum 8.5. 290'000 Gallonen ausgebracht, macht 22'805 Gallonen (86'327 Liter) in einem Tag. Ein Flugzeug kann drei Flüge täglich durchführen und deckt mit einem Flug 250 acres, das ist etwa ein Quadratkilometer, ab.  Sagen wir, es werden zehn Flugzeuge eingesetzt, diese decken also 30 km2 pro Tag ab. Damit hätten wir eine durchschnittliche Dispergiermittelmenge von rund 3 m3 pro km2, etwa dreimal weniger als oben für den Maximalfall angenommen. Die Konzentrationen, die im Meerwasser erreicht werden, dürften also im Allgemeinen tiefer liegen als 1 ppm. Trotzdem hoffe ich, dass eine Obergrenze für den Einsatz der Dispergiermittel eingehalten wird.


1Die Wassergefährdungsklasse ist eine Einstufung in Deutschland, die z.T. auch in der Schweiz angewendet wird. Als juristische Laiin konnte ich innert nützlicher Frist nicht herausfinden, welche Konsequenzen diese Einstufung hat.
2ppm steht für "parts per million" und bezieht sich hier auf das Gewicht. D.h. 1 ppm entspricht 1 mg/kg.


Quellen:

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