Sonntag, 30. Mai 2010

Wikipedia und die weibliche Sexualität

Vorweg eine Warnung: Bei diesem Eintrag handelt es sich nicht um ein Neuigkeit aus der naturwissenschaftlichen Forschung, sondern um meine Meinung zu den deutschsprachigen Wikipedia-Seiten über weibliche Geschlechtsorgane. Die ist natürlich subjektiv. In diesen Zeilen entlädt sich meine geballte Wut über Jahrtausende des Patriarchats. Wer das nicht lesen will, der möge hier stoppen.

Ich habe gerade "Der Koch" von Martin Suter fertiggelesen. Das Buch ist nicht nur unterhaltsam und ein bisschen sozialkritisch, sondern gibt auch aus naturwissenschaftlicher Sicht einiges her. An dieser Stelle wird bald ein Eintrag dazu folgen. Ein kleines Amuse-Bouche für alle, die das Buch gelesen haben: Was ist eigentlich ein Rotationsverdampfer? Welche Zutaten zu Maravans Menu haben nachgewiesenermassen eine aphrodisierende Wirkung? Beginnt mit S...

Aber darum geht es jetzt nicht. Es geht darum, dass ich wegen dieses Themas Wikipedia aufgerufen habe, um meine Physiologie- und Neurologiekenntnisse etwas aufzufrischen. Und zum ersten Mal in meinem Leben wurde ich von der deutschsprachigen Wikipedia schmählich im Stich gelassen!

Der Verlauf der Erektion beim Mann wird ausführlich beschrieben. Sucht man hingegen nach etwas Vergleichbarem für die Frau, findet man erstmal nur eine Randbemerkung. Wenn man sich die Informationen dann mühsam zusammenklaubt (unter Vulva gibt es weit unten einen kleinen Unterabschnitt), fällt folgendes auf:
  • Viele Photos weiblicher Geschlechtsteile - gerne auch zwei oder drei, die dasselbe zeigen. Dafür kaum schematische Abbildungen, die Auskunft über Aufbau und Vorgänge im Inneren des Körpers geben würden. Nicht dass ich etwas gegen die photographische Abbildung weiblicher Geschlechtsorgane hätte, zuallerletzt in einem wissenschaftlichen Artikel. Es geht mir ums Verhältnis und den Informationsgehalt.
  • Unter Klitoris befasst sich der grösste Abschnitt mit Wissenschaftsgeschichte, der zweitgrösste mit Missbildungen. Dabei gibt es dafür extra noch einen separaten Artikel! Ein Verweis würde also genügen. Ach ja, Stimulation gibts auch noch. Ist nämlich nötig zum Orgasmus. Oha, wieder was gelernt. Dafür schafft es der Artikel nicht, eindeutig zwischen gesamter Klitoris und Eichel zu unterscheiden.
  • Unter Vulva gibt es neben vielen Photos und einer grossen Masstabelle (Soll ich jetzt etwa nachmessen, ob meine Vulva der Norm entspricht? Ha! Macht das mal für die Männer! Den Aufschrei würde man bis nach Australien hören.) auch den oben erwähnten winzigen Abschnitt zu den physiologischen Vorgängen bei sexueller Erregung.
  • Der Abschnitt zu Intimpiercings ist übrigens fast ebenso lang, führt aber dreieinhalb mehr Referenzen auf, davon fünfmal mehr zu peer-reviewed Quellen. Darf ich daraus schliessen, dass fünfmal mehr über Intimpiercings geforscht wird als über weibliche Erregung?
  • Es gibt extra einen Artikel Penis des Menschen, unter Vulva aber werden gleich alle Säugetiere abgehandelt!!! (Nein, ich kanns auch nach dem dritten Ausrufezeichen noch nicht fassen.)
  • Weibliche Ejakulation hingegen hat es zu einem eigenständigen Eintrag gebracht! Unter Literatur ist an erster Stelle aufgeführt: Die mangelhafte Geschlechtsempfindung des Weibes. (Ok, die Positionierung liegt natürlich am Namen des Autors.) Immerhin ist das Photo ausnahmsweise tatsächlich informativ und dient nicht nur der Dekoration.
  • Lubrikation hat auch einen eigenen Eintrag. Nun, das Thema ist wohl auch für Männer marginal interessant.
  • Brustwarzen sind in ein oder zwei Nebensätze als erogene Zonen wert. Interessant scheinen auch hier vor allem anatomische Besonderheiten (z.B. Schlupfwarzen) zu sein.
  • Sexueller Reaktionszyklus zitiert Forschungen der 60er- und 70er-Jahre. Gibt es da wirklich nichts neues?
Die entsprechenden englischsprachigen Seiten sind, wenn auch nicht über alle Zweifel erhaben, um Welten besser. Anstelle von vielen aussagelosen Photos stehen hier erklärende schematische Abbildungen, und die neurophysiologischen Vorgänge im sind wesentlich ausführlicher erläutert. Sexualität spielt sich hier nicht nur ausserhalb des Körpers ab.

Verständlicherweise führen die englischen Artikel weiter als die deutschen. Ich suche oft exotische Begriffe, zu denen nur ein englischer Beitrag besteht. Aber hier geht es um ein Thema, das fast die Hälte der Menschheit direkt und einen Grossteil des Rests zumindest indirekt betrifft! Sicher wurde es lange von der Forschung sträflich vernachlässigt, aber hey, wir befinden uns im Jahre 2010, die 60er liegen schon fast ein halbes Jahrhundert zurück.

Richtig spannend wirds erst in den Diskussionsseiten. Da findet sich unter anderem folgende bezeichnende Anekdote auf Diskussion:Klitoris
"Das Wissen, dass die Klitoris aus weit MEHR als der von außen sichtbaren Eichel der Klitoris besteht, ist nicht neu! Das Problem ist vielmehr, dass die Anatomie der Klitoris im Medizinstudium lange nur als Geheimwissen weitergegeben wurde und nicht Teil des Lehrplans war. Ich habe 1987 in Wien meinen Sezierkurs im Rahmen des Medizinstudiums absolviert. Der Penis wurde nach Lehrplan in Eichel, weichen und harten Schwellkörper zerlegt. Die weibliche Klitoris war nicht im Sezierplan, aber der Assistent wies uns an, die 4 Arme der Klitoris (rechts und links der Vulva je ein weicher und ein harter Schwellkörper etwa in der Länge der kleinen Schamlippen) freizulegen. Als alle es gesehen hatten, wurde die Klitoris schnell wieder entfernt, während die anatomischen Teile des Penises noch tagelang an der Nachbarleiche baumelten."
Seit 1987 sind aber auch schon ein paar Jährchen vergangen. Es gibt Personen, also zum Beispiel ich, die der Ansicht waren, in dieser Zeit hätte sich etwas geändert.

Ausserdem stehen sich in der Disussion folgende interessante Informationen - warum haben die es nicht in den Artikel geschafft?
"Die ARME ODER SCHENKEL DER KLITORIS umfassen die Scheidenöffnung rechts und links und sind etwa so lange wie die kleinen Schamlippen, in deren Tiefe sie sich auch befinden. Der HARTE SCHWELLKÖRPER besteht bei Frauen nur mehr aus NERVENGEWEBE; sie sehen daher wie zwei silberne einige Zentimeter lange makkaronidicke Gebilde aus. Der WEICHE SCHWELLKÖRPER besteht aus einem VENENGEFLECHT, sieht also wie 2 blau-violette längliche Schwämmchen aus, die die Scheidenöffnung links und rechts umfassen. Schwillt der weiche Schwellköper an, kommt der harte Schwellkörper mit seinen Nerven unter erhöhte Zugspannung - frau fühlt sich erregt und will Sex, etc.
Übrigens: Beim Mann schwillt bei der Erektion der HARTE Schwellkörper an, während bei der FRAU bei Erregung der WEICHE Schwellkörper anschwillt. Wenn frau ein Pulsieren in der Vulva spürt, spürt sie, wie das Blut in den weichen Schwellkörper der Klitoris einströmt. Die kleinen Schamlippen sehen dann auch stärker durchblutet und leicht geschwollen aus."
So, wer meinen Schreibstil kennt, dem fällt schon an der Häufung von Ausrufezeichen auf, dass ich mehr als nur sauer bin. Ich befinde mich irgendwo zwischen Rot- und Weissglut. Wahrscheinlich wählt mein Freund nächstens 144, weil mein Mund zu schäumen beginnt. Ich verspüre den Drang, persönlich jeden Mann (und von mir aus auch jede Frau), der je irgendeinen Schrott zur weiblichen Sexualität verkündet hat, zu erwürgen - dummerweise sind die meisten längst vermodert. Vielleicht sollte ich Voodoopuppen basteln. Funktioniert sowas auch posthum?

Ich rufe alle deutschsprachigen Anatominnen, Neurophysiologinnen, Gynäkologinnen und sonstigen Fachfrauen auf: Tragt was Ihr könnt dazu bei, diese Seiten zu verbessern! Denkt an all die Mädchen und jungen Frauen, die sich auf Wikipedia über ihren Körper informieren!

An alle anderen Frauen: Bitte hinterlasst hier einen Kommentar, ob Ihr mit meiner Kritik einverstanden seid oder nicht. Bei genügend Rückmeldungen werde ich versuchen, diese Kritikpunkte in die Diskussion auf Wikipedia einzubringen.

Eine Schlussbemerkungen an die Männer, die bis hierhin durchgehalten haben: Ich bin nicht wütend auf Euch. Ich bin wütend auf Eure Urgrossväter, und auch die können ja nicht so viel dafür, sie kannten ja nichts anderes. Die meisten Männer, die ich kenne, sind ganz tolle Menschen! Über das Thema, dass es auch im Mann noch andere Vorgänge gibt als die Erektion des Penis, müsst Ihr Euch aber selbst aufregen.

Quellen:
Alle Links zu Wikipediaseiten im Text sind Permanent-Links, die zur Seite führen, wie sie zum Zeitpunkt des Schreibens (29./30.5.2010) im Internet erscheint.

Samstag, 29. Mai 2010

Universeller Grippeimpfstoff bald nicht mehr Zukunftsmusik?

Wer sich gegen Grippe impfen lassen will, muss diese Impfung praktisch jedes Jahr wiederholen. Denn die Grippeviren mutieren ständig, so dass bisherige Antikörper nicht mehr wirken. Ausserdem braucht das Herstellen des Impfstoffs seine Zeit. Neun Monate vor der nächsten Grippewelle wird deshalb versucht vorherzusagen, welche Virenstämme diesmal wohl kommen werden. Je nachdem, wie treffend die Vorhersage war, wirkt der Impfstoff besser oder nicht ganz so gut.

Es wäre also enorm nützlich, einen Grippeimpfstoff zu haben, der etwas breiter wirkt. Dann müsste man sich auch nicht jedes Jahr neu impfen lassen, und die Angst vor einer Pandemie hielte sich in Grenzen. Forschern an der Mount Sinai School of Medecine (nein, die steht nicht in Ägypten, sondern in New York) scheint hier ein entscheidender Durchbruch gelungen zu sein.

Ziel des Impfstoffes ist das Protein Hämagglutinin (HA) in der Virenhülle, genauer die Untereinheit HA2. Diese variiert zwischen verschiedenen Virenstämmen nämlich nur wenig im Vergleich zum Rest des Proteins. Jetzt gibt es aber ein Problem (sonst hätten wir den universellen Impfstoff ja schon lange): Die Untereinheit HA2 steckt grossteils in der Virenhülle, und was daraus herausragt, wird von der Untereinheit HA1 verdeckt. Aus diesem Grund können Antikörper an HA2 nur schlecht andocken. Die Forschungsgruppe hat daher nach Wegen gesucht, die HA2-Untereinheit im Impfstoff freizulegen und somit für Antikörper zugänglich zu machen.

Erfolgreich waren sie mit der Methode, den störenden Kopfbereich der HA1-Untereinheit herauszuschnipseln und die beiden Enden durch einige wenige Aminosäuren, die Bausteine der Proteine, zu ersetzen. Das sieht dann so aus:

Oben das Schema des ungefalteten Proteins HA. Der mittlere Teil der HA1-Untereinheit (blau) wird entfernt und durch verschieden Aminosäurensequenzen ersetzt. Unten Modelle des vollständig gefalteten Proteins mit und ohne HA1-"Kopf". Steel et al. 2010.

Mit einem Impfstoff aus solchen "kopflosen" HA-Proteinen wurden Mäuse erfolgreich gegen Grippeviren desselben Stammes immunisiert. Die Antikörper, die die Mäuse produziert hatten, wurden auch auf ihre Wirksamkeit gegen andere Virenstämme gestestet. Dabei ergab sich folgendes Muster: War das kopflose HA-Protein vom Subtyp H1, waren die Antikörper wirksam gegen die Subtypen H1, H2 und H5, nicht aber gegen H3. Bei kopflosem HA vom Subtyp H3 verhielt es sich gerade umgekehrt: diese Antikörper bekämpften erfolgreich H3-Viren, nicht aber H1, H2 oder H5.

Dieses Verhalten macht durchaus Sinn, wenn man den Aufbau des HA-Proteins näher betrachtet. Da lassen sich die H-Subtypen in zwei grosse Gruppen teilen, die sich im Aufbau von HA deutlich unterscheiden. H1, H2 und H5 gehören zur ersten Gruppe, H3 hingegen zur zweiten. Deshalb zeigten die Antikörper bei der jeweils anderen Gruppe keine Wirkung.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass hiermit möglicherweise der Grundstein gelegt wurde für einen Impfstoff, der gleichzeitig gegen mehrere Influenza-Subtypen wirkt.

Quelle:
Steel, J. et al. Influenza Virus Vaccine Based on the Conserved Hemagglutinin Stalk Domain. mBio 1:1 e00018-10; Published 18 May 2010, doi:10.1128/mBio.00018-10 (Bei mBio handelt es sich übrigens um ein brandneues Journal der American Society for Microbiology - online und frei zugänglicher Volltext.)

Freitag, 21. Mai 2010

Eine Fabrik aus DNA

Das ist richtig cool: Eine Fabrik aus DNA-Molekülen, die Nanopartikel zusammenbauen. Nein, es ist kein verspäteter Aprilscherz, das funktioniert wirklich.

Grob umrissen sieht das folgendermassen aus: Ein dichtes Gewebe aus DNA-Strängen bildet das Grundgerüst (ein sogenanntes DNA-Origami). Darauf bewegt sich der "Läufer" vorwärts, der aus mehreren kurzen DNA-Strängen besteht. An mehreren Stationen wird dieser "Läufer" mit Nanopartikeln beladen. So wird es möglich, Nanopartikel nach einem regelmässigen Muster zusammenzuführen.

 Schema der Fertigungsstrasse. Der "Läufer" bewegt sich von links nach rechts und nimmt dabei Nanopartikel (grün) auf. Hongzhou Gu et al. 2010.

Erstaunlich, nicht wahr? Aber weshalb verwendet man dazu gerade DNA? Dazu muss ich etwas ausholen. Im Erbgut liegt die DNA in Form einer Doppelspirale vor. Die beiden Stränge halten dabei durch Wasserstoffbrücken (WSB) zusammen, und zwar sind es zwischen den Nukleotiden Adenin (A) und Thymin (T) zwei WSB, und zwischen den Nukleotiden Guanin (G) und Cytosin (C) drei WSB. Deshalb kann A nur mit T und G nur mit C kombiniert werden. Ein Strang mit einer bestimmten Nukleotidsequenz (z.B. AGTC) verbindet sich mit einem Strang mit komplementärer Nukleotidsequenz (im Beispiel TCAG). Durch geschickte Auswahl der Nukleotidreihenfolge und durch Hilfsstränge lässt sich DNA in geradezu bizarre Formen falten. Solche Kunstwerke werden DNA-Origami genannt.

Beispiele von DNA-Origami. Links Modell, rechts Bild im Rasterkraftmikroskop. Der weisse Balken im letzten Bild (s) misst 100 nm. Paul W. K. Rothemund 2006.

Der Läufer besteht aus einzelnen DNA-Strängen, die nur stellenweise zu Doppelsträngen verbunden sind. Er hat vier Beine mit Füssen aus Einzelsträngen, die an Fortsätze mit komplementärer Nukleotidsequenz aus dem Origami binden können. Normalerweise steht der Läufer auf zwei Füssen. Um ihn vorwärts zu bewegen, wird die Verbindung zu einem Fuss gelöst, worauf sich einer der freien Füsse einen neuen Halt sucht. Solche Roboter aus DNA werden übrigens auch als "Nubots" für "nucleic acid robots" bezeichnet.

"Läufer" aus DNA-Strängen. Die mit F bezeichneten Stränge sind die Füsse. Hongzhou Gu et al. 2010.


Quelle:
Gu, H. et al. Nature 465, 202-205 (13 May 2010) | doi:10.1038/nature09026 - abstract

Dienstag, 18. Mai 2010

Vom kritischen Denken

Die Kapazität unseres Hirns ist nicht unbeschränkt. Deshalb ist es gefährlich, während des Autofahrens zu telephonieren: Das Telephonieren beansprucht zuviel Hirnkapazität. Besonders anstrengend für unser Hirn ist kritisches Denken, deshalb schalten wir diesen Prozess gerne auch mal ab. Das ist während einer Hypnose der Fall, aber auch in Gesellschaft, der wir vertrauen. Eine aktuelle Studie hat gezeigt, dass auch charismatische Redner (in der Studie: christliche Glaubensheiler) diesen Effekt haben können, wenn der Zuhörer ihnen Vertrauen entgegen bringt. Dass ein Redner sein Publikum hypnotisiert, ist also nicht bloss eine Redensart, sondern eine überraschend exakte Beschreibung.


Links:
  • Wie selektiv unser Hirn arbeitet, zeigt eindrücklich der "Color Changing Card Trick".
  • Wer sich für das faszinierende Gebiet der Hirnforschung interessiert, dem empfehle ich die exzellente Zusammenfassung des aktuellen Forschungsstandes zum Thema kritisches Denken von Steven Novella auf NEUROLOGICAblog, woher auch meine Informationen zu diesem Eintrag stammen.

Sonntag, 16. Mai 2010

Öl im Golf von Mexiko - Update

Diese Woche wurden einige zusätzliche Informationen zum Dispergiermittel-Einsatz veröffentlicht, daher hier eine Aktualisierung zu meinem Eintrag von letzter Woche.

Bis gestern wurden über 560'000 Gallonen Dispergiermittel eingesetzt, das sind über 2 Millionen Liter. Weitere 260'000 Gallonen (fast eine Million Liter) sind vorrätig.

Zusammensetzung des Erdöls

Die gute Neuigkeit: Das austretende Erdöl ist nicht ganz so giftig, wie Erdöl normalerweise ist. Es enthält nämlich vergleichsweise wenig Verbindungen mit Schwefeatomen und wenig polyaromatische Kohlenwasserstoffe. Dies sind die problematischsten Bestandteile von Rohöl.

Einsatz von Dispergiermitteln an der Quelle

Die US-Umweltbehörde EPA hat ihr OK für den Einsatz von Dispergiermitteln unter Wasser am Ort des Austritts gegeben, allerdings verbunden mit strengen Auflagen. So muss die Ausbreitung des Dispergiermittel-Öl-Gemischs überwacht werden und es müssen regelmässig Wasserproben genommen werden, mit denen unter anderem auch Toxizitätstests durchgeführt werden.

Der Einsatz an der Quelle reduziert die Menge der benötigten Dispergiermittel. Dafür lässt sich das ökologische Risiko wesentlich schwieriger einschätzen, da wir über die Biologie von Meeresboden und Tiefsee nicht so viel wissen. Die Tiefsee dürfte empfindlicher reagieren als die Meeresoberfläche, da hier sehr viel weniger Organismen leben. Falls das Öl im tiefen, kalten Wasser bleibt, dauert es viel länger, bis es von Bakterien abgebaut wird, als im warmen Oberflächenwasser.


Quellen:

Freitag, 7. Mai 2010

Öl im Golf von Mexiko - sind die eingesetzten Dispergiermittel ein Problem?

Photograph by William Colgin

Der Kampf gegen das Öl vor New Orleans dauert an. Eine Massnahme ist dabei der Einsatz von Dispergiermitteln, die es ermöglichen, dass sich das Öl mit dem Meerwasser vermischt und nicht als Teppich obenauf liegt. Da stellt sich die Frage, ob der Einsatz grosser Mengen nicht selbst ein ökologisches Problem darstellen könnte. Bis heute wurden 267'195 Gallonen eingesetzt, das ist rund eine Million Liter. Deshalb habe ich die Sicherheitsdatenblätter studiert, die freundlicherweise auf dem Internet zur Verfügung gestellt werden: http://www.deepwaterhorizonresponse.com/go/doctype/2931/53023/

Es werden offenbar zwei verschiedene Mittel eingesetzt: COREXIT® 9500 und COREXIT® 9527 der Firma Nalco. Das Risiko für Mensch und Umwelt wird auf den Sicherheitsdatenblättern für beide Produkte als gering eingeschätzt. Doch schauen wir uns die Inhaltsstoffe genauer an.

1,2-Propandiol

  • Völlig harmlos, wenn man nicht gerade eine volle Ladung in die Augen kriegt.
  • Auch langfristig sollte es kein Problem darstellen, da es sowohl in unserem Verdauungssystem als auch in der Umwelt wunderbar abgebaut wird.
  • Eingestuft als schwach wassergefährdend1.

Destillate (Erdöl), hydriert, leicht

  • Nur in Corexit9500 vorhanden.
  • Völlig irrelevant angesichts der Riesenmenge an Erdöl, die sowieso schon vorhanden ist - es handelt sich nämlich einfach um bestimmte Komponenten von Erdöl.

Ethylenglykolmonobutylether

Jetzt wirds langsam spannend...
  • Nur in Corexit9527 vorhanden.
  • Gesundheitsschädlich: reizt Augen und Atemwege, führt zu Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen... die üblichen Vergiftungssymptome eben.
  • In hohen oder wiederholten Dosen kann es die roten Blutkörperchen zerstören sowie Leber und Niere schädigen.
  • Kein bekanntes Krebserreger. Das heisst erstmal einfach, dass es dazu keinerlei Studien gibt. Es wurde aber zumindest nachgewiesen, dass der Stoff das Erbgut nicht schädigt.
  • Biologisch abbaubar.
  • Eingestuft als schwach wassergefährdend.1

Organische Sulfonate - das grosse Fragezeichen

Die Bezeichnung "organische Sulfonate" ist mässig aussagekräftig. Der Name Sulfonat beschreibt nämlich nur das eine Ende seiner Bauteilchen. Über das andere Ende wissen wir so ziemlich gar nichts, das ist Betriebsgeheimnis. Was auch seine Berechtigung hat, schliesslich hat die Firma viel in die Entwicklung investiert. Aber es erschwert eine ökologische Bewertung durch Aussenstehende ungemein. Alles, was ich tun kann, ist das Zeug kaufen und meine Fische damit füttern, wenn ich denn welche hätte. Daher kann ich hier nur sagen:
  • Im Sicherheitsdatenblatt sind keine gesundheitsschädlichen Wirkungen aufgeführt.
  • Gemäss Sicherheitsdatenblatt ist das Risiko für die Umwelt gering.
Hier ein paar Beispiele, wie unterschiedlich Sulfonate sein können:
Wer Spass daran hat, kann jetzt herausdüfteln, was alle Sulfonate gemeinsam haben.

Ökologische Risiken

Der Einsatz von Dispergiermitteln kann vor allem in flachem Wasser problematisch sein. Das Öl bleibt dann nicht an der Oberfläche, sondern gelangt bis auf den Meeresgrund und erreicht so die dort lebenden Organismen. Erdöl kann vielerlei giftige Substanzen enthalten. Vielen Tierarten dient der Meeresboden zur Fortpflanzen, und Jungtiere sind besonders empfindlich. Ebenso stellen Korallenriffe hochempfindliche Ökosysteme dar. Da das Meer im Bereich des Mississippi-Flussdeltas recht flach ist, sollte darauf geachtet werden, die Dispergiermittel nur mit genügend Abstand zum Flachwasser auszubringen.

Ist die grosse Menge ein Problem?

Abschnitt geändert am 9.5., nachdem ich neue Daten zu dieser Frage gefunden habe.

Um diese Frage zu beantworten, vergleiche ich die erwarteten Dispergiermittel-Konzentrationen im Meerwasser mit verfügbaren Toxizitätsdaten.

Die Dispergiermittel-Konzentration abzuschätzen, ist gar nicht so einfach. Die eingesetzte Menge hängt nämlich von der (geschätzten) Dicke der Ölschicht ab. Ich beschränke mich hier auf den Fall einer sehr dicken Schicht, denn dort sind die höchsten Konzentrationen zu erwarten. Ein dicker Ölteppich enthält über 200 m3 Öl pro km2. Das Dispergiermittel wird in einem Volumenverhältnis von 1:20 eingesetzt, d.h. bei einem dicken Ölteppich mindestens 10 m3/km2. Man nimmt an, dass sich das Dispergiermittel gleich zu Beginn in die obersten 30 Fuss, also etwa 9 Meter einmischt. D.h. kurz nach dem Ausbringen würde ein m3 Meerwasser 1.1·10-6 m3 Dispergiermittel enthalten.

Toxizitätsdaten werden aber immer in Masseneinheiten angegeben. Wir müssen also mit Hilfe der Dichte umrechnen. Diese beträgt 7.91 lb/gal für Corexit9500 und 8.2-8.5 lb/gal für Corexit9527. (An dieser Stelle die höfliche Anregung an die USA, doch endlich auf das so viel praktischere Metrische System umzustellen.) Wenn ich richtig gerechnet habe, liegt die Dichte also bei etwa 950 bzw. 1'000 kg/m3. Aber es ist schon spät, ich wäre froh, wenns jemand nachrechnen könnte. Corexit9500 wird sich durch die geringere Dichte vermutlich weniger schnell mit dem Meerwasser vermischen als Corexit9527 und eher obenauf schwimmen, wie auch in den Sicherheitsdatenblättern beschrieben. (Das scheint übrigens bei der Abschätzung der Einmischtiefe nicht berücksichtigt worden zu sein.) Nehmen wir 1'000 kg/m3, das macht die Rechnung einfacher und ist für diese Abschätzung genau genug. Ich komme damit auf eine Dispergiermittel-Konzentration von rund 0.001 kg/m3 oder 1 ppm (bei einer Dichte des Meerwassers von ca. 1 kg/L).2

Vergleichen wir diese Zahl nun mit Toxizitätsdaten.

TierartCorexit9527Corexit9500
Garnele49.4 ppm83.1 ppm
Barsch (Larve)14.3 ppm19.8 ppm
Konzentrationen, bei denen nach 96 Stunden 50% der Tiere gestorben waren. Gulec und Douglas 2000.

Ein Übersichtsartikel gibt als tiefsten Wert 1.6 ppm für Mollusken und Corexit9527 an (George-Ares und Clark).

Die erwarteten Konzentrationen sind im Extremfall also fast so hoch wie der tiefste Toxizitätswert. Das ist kritisch, denn auch bei tieferen Konzentrationen gibt es noch Tiere, die daran sterben oder mindestens beeinträchtigt sind. Wenigstens stellt die berechnete Konzentration einen Extremfall dar, der wohl nur für einige Stunden erreicht wird, da die weitere Durchmischung im Meer zu einer Verdünnung führt.

Nun will ich noch versuchen, abzuschätzen, in welchen Mengen die Dispergiermittel tatsächlich eingesetzt werden. Bis zum 7.5. wurden 267'195 Gallonen, bis zum 8.5. 290'000 Gallonen ausgebracht, macht 22'805 Gallonen (86'327 Liter) in einem Tag. Ein Flugzeug kann drei Flüge täglich durchführen und deckt mit einem Flug 250 acres, das ist etwa ein Quadratkilometer, ab.  Sagen wir, es werden zehn Flugzeuge eingesetzt, diese decken also 30 km2 pro Tag ab. Damit hätten wir eine durchschnittliche Dispergiermittelmenge von rund 3 m3 pro km2, etwa dreimal weniger als oben für den Maximalfall angenommen. Die Konzentrationen, die im Meerwasser erreicht werden, dürften also im Allgemeinen tiefer liegen als 1 ppm. Trotzdem hoffe ich, dass eine Obergrenze für den Einsatz der Dispergiermittel eingehalten wird.


1Die Wassergefährdungsklasse ist eine Einstufung in Deutschland, die z.T. auch in der Schweiz angewendet wird. Als juristische Laiin konnte ich innert nützlicher Frist nicht herausfinden, welche Konsequenzen diese Einstufung hat.
2ppm steht für "parts per million" und bezieht sich hier auf das Gewicht. D.h. 1 ppm entspricht 1 mg/kg.


Quellen:

Montag, 3. Mai 2010

Am 26. April war Boobquake-Tag

Leider habe ich erst im Nachhinein von diesem Ereignis erfahren. Der iranische Geistliche Hojatoleslam Kazem Sedighi hat behauptet: Frauen, die sich nicht züchtig kleiden, korrumpieren die Keuschheit junger Männer, was wiederum, man höre und staune, Erdbeben verstärkt.

Die amerikanische Studentin JenMcCreight hat sich gesagt: "Testen wir diese Theorie", und für den 26. April den Boobquake-Tag ausgerufen. Frauen, holt eure freizügigsten Kleider aus dem Schrank, bringen wir die Erde zum beben! Ist das nicht grossartig?

Eine statistische Analyse zeigt, dass am 26. April weder mehr noch stärkere Beben als im Durchschnitt stattfanden. Jen McCreight räumt allerdings ein, dass die Studie rigorosen wissenschaftlichen Ansprüchen nicht gerecht werde. Unter anderem fehle ein Kontrollplanet, auf dem die Frauen nur Burkas tragen.

Übrigens tun mir ja die Männer leid, die sich Frauen so hilflos ausgeliefert fühlen...

Quellen:
Artikel in der New York Times, der Hojatoleslam Kazem Sedighi zitiert: http://www.nytimes.com/2010/04/20/world/middleeast/20briefs-Iran.html
Statistische Auswertung von Boobquake: http://www.blaghag.com/2010/04/and-boobquake-results-are-in.html