Donnerstag, 22. April 2010

Das erste mehrzellige Tier, das ohne Sauerstoff auskommt

Bis vor kurzem kannte man keine vielzelligen Tiere, die nicht auf Sauerstoff angewiesen sind. Obwohl theoretisch denkbar, hatte man solche nie gefunden. Bis vor kurzem. Aber jetzt haben Biologen eines entdeckt. Was ist das für ein Tierchen, und wo und wovon lebt es?

Es handelt sich um eine neue Tierart des Stammes der Korsetttierchen. Diese sind kleiner als ein Millimeter, haben einen stachelbewehrten Kopf und einen Rumpf mit plattenbesetztem Panzer. Es scheinen also recht standhafte Tierchen zu sein. Sie leben im Meeresboden, wo sie sich an Sandkörner heften.

 Eines der anaeroben Korsetttierchen. Die Färbung ist künstlich.
Grösse des Tierchens ca. 0.2 mm.

Die neue Art wurde im Mittelmeer entdeckt, und zwar im Bassin L'Atalante, einem hypersalinen, anoxischen Tiefseebecken. Die Lebensbedingungen dort sind harsch: hoher Druck, hoher Salzgehalt, toxischer Schwefelwasserstoff und kein Sauerstoff.

Diesem Korsetttierchen fehlt ein wesentlicher Zellbestandteil, in welchem bei Tieren Sauerstoff verarbeitet und Energie gewonnen wird: die Mitochondrien. Stattdessen wurden in ihm Organellen entdeckt, die bisher noch nie in einem mehrzelligen Tier gefunden wurden. Diese heissen Hydrogenosomen und dienen demselben Zweck wie die Mitochondrien, nur dass sie nicht Sauerstoff (O2) verarbeiten. Anstelle dessen nehmen sie Molekülen, die H-Atome enthalten, die H-Atome weg und bilden daraus Wasserstoff (H2). Für alle, die etwas chemische Kenntnisse haben: Es handelt sich dabei um eine Reduktion, also eine Elektronenaufnahme. Die zugehörige Oxidation ist der Abbau von Traubenzucker (Glucose) zu CO2.

Hier finden wir auch einen möglichen Grund, warum die Tierchen hohen Schwefelwasserstoffkonzentrationen standhalten. Schwefelwasserstoff verhindert nämlich die Sauerstoffverarbeitung in den Mitochondrien, deshalb ist er für uns giftig. Ausserdem behindert er auch den Sauerstofftransport durch das Blut. Aber wenn man keine Mitochondrien hat, ist das natürlich kein Problem.

Das grosse Rätsel ist jetzt die Evolution dieses Tieres. Wie kam es dazu, dieses unwirtliche Habitat zu besiedeln? Und wie erreichte es die Anpassung, d.h. wie entwickelten sich die Hydrogenosomen? So sind die unscheinbaren Korsetttierchen plötzlich enorm spannend geworden.

Quellen:
Danovaro, R. et al. BMC Biology 2010, 8:30 doi:10.1186/1741-7007-8-30

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